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Mord an Michèle Kiesewetter: Die Geschichte vom tödlichen Zufall


Innenpolitik
Die Geschichte vom tödlichen Zufall

Von Christian Kreutzer

Aktualisiert am 25.11.2011Lesedauer: 3 Min.
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Mordopfer Kiesewetter: Polizisten suchen im Juli 2007 den Tatort an der Heilbronner Theresienwiese abVergrößern des Bildes
Mordopfer Kiesewetter: Polizisten suchen im Juli 2007 den Tatort an der Heilbronner Theresienwiese ab (Quelle: dpa-bilder)

Die Erkenntnislage im Fall der ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter hat sich seit Anfang der Woche rasant gewandelt und bislang ist kein Ende abzusehen: Noch Mitte vergangener Woche hatte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg mit dem Brustton der Überzeugung behauptet, es gäbe keinerlei Verbindung zwischen der jungen Frau, die am 25. Juli 2007 in Heilbronn erschossen worden war und ihren Mördern.

Am Montag dann ließ BKA-Chef Jörg Ziercke in der Sitzung des Bundesinnenausschusses die Bombe platzen und sprach von einer "Beziehungstat". Damit meinte Ziercke keine Liebesbeziehung, sondern eine wie auch immer geartete nähere Bekanntschaft von Tätern und Opfer.

Der Grund: Kiesewetter kam aus dem thüringischen Oberweißbach. Dort gibt es nicht nur eine kleine rechte Szene, sondern auch das Lokal "Gasthof zur Bergbahn" das in den Jahren 2005 und 2006 ein überregionaler Szenetreff der Neonazis war. Auch mehrere der jetzt als Helfer der Killer verhafteten Rechtsextremen gingen dort ein und aus. Einer davon, Ralf W. - der frühere Vize-NPD-Chef von Thüringen - war gar der Schwager des Pächters. Was noch bedeutsamer ist: Auch Uwe Mundlos, einer der beiden Mörder, soll sich eine Zeitlang in Oberweißbach aufgehalten, mit Jugendlichen herumgehangen und mit ihnen Rohrbomben gebaut haben.

"Nichts voneinander zu wissen, war praktisch unmöglich"

Dann wurde die Gerüchteküche recht bunt: Kiesewetter habe angeblich gegenüber dem Gasthof gewohnt, ihr Stiefvater das Lokal vergeblich zu pachten versucht, ihr Onkel oder Bruder den Bruder der Nazi-Braut Beate Zschäpe beschäftigt. Alles Quatsch, ließ Kiesewetters Stiefvater mittlerweile klarstellen: sie habe nie an dieser Stelle gewohnt, er selbst nie das Lokal haben wollen. Auch habe es nie direkte Kontakte zwischen der Polizistin und den Nazis gegeben.

Wie also könnten die junge Polizistin und die Nazis aneinandergeraten sein? Auch nach tagelangen Nachforschungen gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass Täter und Opfer tatsächlich in eine persönlich-menschliche Beziehung verstrickt waren. Daher gehen die Ermittler offenbar davon aus, dass man die beiden Thesen - Zufall gegen "Beziehungstat" - miteinander kombinieren muss, um zu einem vernünftigen Ergebnis zu kommen.

"Oberweißbach ist ein kleines Dorf mit weniger als 2000 Einwohnern und ganz wenigen Jugendlichen. Dort nichts voneinander zu wissen, war praktisch unmöglich", so die Thüringer Landtagsabgeordnete Katharina König (Die Linke) zu t-online.de. Die Jugendpolitikerin hatte bereits vor Tagen eigene Mitarbeiter zur Recherche in die Gemeinde Oberweißbach geschickt, um persönliche Zusammenhänge der grausamen Tat zu ergründen. Auch sie fand keine Hinweise auf ein echtes Miteinander der Protagonisten. "Ich glaube jedenfalls nicht, dass Kiesewetter selbst - beispielsweise als Jugendliche - in der rechten Szene aktiv war", ist König überzeugt.

Panik beim zufälligen Zusammentreffen?

Dass aber Mundlos, Böhnhardt und ihre Helfer wussten, wer die junge Frau war, als sie sie in Heilbronn im Polizeiwagen sitzen sahen, sei praktisch sicher, so König. Es sei sehr wahrscheinlich, dass die abgetauchten Killer-Nazis angesichts der dörflichen Verhältnisse davon ausgegangen seien, dass auch Kiesewetter gewusst habe, wer sie seien.

Was also ist passiert? Auch in Ermittlerkreisen kursiert die Theorie, die Täter hätten sich bei einem zufälligen Zusammentreffen - entweder im baden-württembergischen Heilbronn oder im thüringischen Weißbach - durch Kiesewetter erkannt und gefährdet gefühlt.

Gelegenheit hätte es genug gegeben: So sollen sich die meisten Szenemitglieder - vermutlich auch die Killer der NSU - am 18. März 2006 zu einem Konzert des rechtsextremen Liedermachers und späteren Kandidaten für das Bundespräsidentenamt, Frank Rennicke, im "Gasthof zur Bergbahn" versammelt haben.

Bei dem Konzert oder anderen Veranstaltungen war ein Kontakt zwischen Kiesewetter und ihren Mördern möglich. Denn die Polizistin blieb auch dann ihrem Heimatort treu, als sie 2003 auf die Polizeischule in Böblingen kam. Von Baden-Württemberg aus besuchte sie Oberweißbach regelmäßig, feierte Partys mit alten Freunden und engagierte sich weiter in der Gemeinde.

Sollte in Heilbronn einer weiterer Dönerbuden-Besitzer sterben?

Wie und wo sollten Täter und Opfer aber so zusammengestoßen sein, dass es zum kaltblütigen Mord an Kiesewetter und zum Mordversuch an ihrem Kollegen kam, der sich bis heute an nichts erinnern kann?

"Warum sollte es nicht so gewesen sein, dass die Neonazis zu einem weiteren Verbrechen in Heilbronn waren?" fragt König. Ein weiterer Mord an einem Dönerbudenbesitzer oder ein Banküberfall kämen dafür infrage. Vielleicht, sagt König, die auch mit Ermittlern gesprochen hat, seien Polizisten und Verbrecher dabei am Ende eben doch zufällig aufeinander getroffen.

Alles weitere sei dann aber kein Zufall mehr gewesen: Die eigentlich abgetauchten Nazis hätten in dieser Version der Geschichte Kiesewetter erkannt, sich ihrerseits erkannt gefühlt und beschlossen, die Beamten zu ermorden, um nicht aufzufliegen.

Nur eine Person kann Licht in die grausame Geschichte bringen: Beate Zschäpe, die dritte im Bund der rechten Mörder. Doch die schweigt bislang.

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