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Wulff-Affäre: Grenze der Strafbarkeit eindeutig überschritten


Gesellschaft
Juristen sehen bei Wulff Grenze der Strafbarkeit klar überschritten

Aktualisiert am 16.01.2012Lesedauer: 4 Min.
Für Staatsrechtler ein klarer Fall: Wulff hat sich strafbar gemachtVergrößern des BildesFür Staatsrechtler ein klarer Fall: Wulff hat sich strafbar gemacht (Quelle: AFP-bilder)
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Ein neues Gutachten des renommierten Staatsrechtlers von Arnim, das von Experten zusätzlich geprüft wurde, kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: Christian Wulff hätte den umstrittenen Hausbau-Kredit nicht annehmen dürfen - und hat sich damit strafbar gemacht.

Der Speyer Staatsrechtslehrer Hans Herbert von Arnim kommt in einer umfangreichen Analyse des Falles zu dem Schluss, dass Wulff als Ministerpräsident gegen das niedersächsische Ministergesetz verstoßen und sich dabei vermutlich auch wegen Vorteilsannahme im Amt (§ 331 Strafgesetzbuch) strafbar gemacht hat. Begleitet und kritisch geprüft wurde das Gutachten laut Autoren-Vermerk von etlichen weiteren Juristen, darunter zwei Strafrechtsprofessoren und mehreren staatsrechtlichen Professoren-Kollegen.

Gutachten mit Sprengkraft

Mitte Februar soll ein entsprechender Beitrag Arnims in der "Neuen Zeitschrift für Verwaltungsrecht" ("NVwZ") erscheinen, der führenden Fachzeitschrift für öffentliches Recht. "Wegen der Aktualität und Sprengkraft der Sache", so "NVwZ"-Chefredakteur Achim Schunder, habe man den ungekürzten Text aber schon heute online gestellt. Arnim greift dabei auf den Kredit in Höhe von 500.000 Euro zurück, den Wulff von dem mit ihm befreundeten Unternehmer-Ehepaar Geerkens erhalten hat, weil hier der "Zusammenhang zu Amtshandlungen des Ministerpräsidenten" nach den derzeit vorliegenden, übereinstimmenden Presseveröffentlichungen "am deutlichsten belegbar" erscheine.

"Alles spricht dafür", bilanziert Arnim in dem Gutachten, dass Wulff durch die Entgegennahme dieses Kredits "während seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident gegen das Verbot verstoßen hat, Geschenke in Bezug auf sein Amt anzunehmen". Das Geschenk "bestand in der Hinnahme des zinsgünstigen Kredits der Familie Geerkens", so Arnim. "Der Bezug auf das Amt wurde durch die wiederholte Mitnahme des Egon Geerkens zu Auslandsreisen des Ministerpräsidenten hergestellt"; diese erfolgen "in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Zusage des Kredits und seiner Gewährung".

Indizien für Vorteilsnahme

Beides, das Vorliegen eines Geschenkes und den Bezug zum Amt lasse Wulff zwar durch seine Anwälte bestreiten. Das erscheine aber "nicht nachvollziehbar", heißt es in dem Gutachten. Als belastende Indizien zählt das Gutachten auf:

  • Den "engen zeitlichen Zusammenhang" zwischen Hauskauf, Auslandsreise und Kreditvereinbarung;
  • Die "Höhe" des etwa durch Grundstücks-Hypotheken "ungesicherten Kredits von 500.000 Euro" und der "erhebliche Umfang des daraus für Wulff fließenden Vorteils von mindestens 20.000 Euro";
  • Das "intensive Bemühen Wulffs, den Kredit zu verheimlichen", wofür er "sogar eine unvollständige, möglicherweise verfassungswidrige Aussage vor dem Landtag in Kauf nahm", und später den "einem Amt des Bundespräsidenten völlig unadäquaten Versuch unternahm, die Veröffentlichung des Geerkens-Kredits durch die "Bild"-Zeitung zu stoppen oder zu modifizieren, der möglicherweise sogar eine versuchte Nötigung darstellte".

Selbst wenn Geerkens von Wulff allein aus freundschaftlicher Verbundenheit mitgenommen worden wäre, so Arnim, wäre das "rechtswidrige Vetternwirtschaft": Denn der Ministerpräsident dürfe "als Amtsträger von Verfassungs wegen allein gemeinwohlorientiert handeln".

Darin, dass Wulff den - angeblich von Edith Geerkens gewährten - Kredit bei Anfragen von Abgeordneten im niedersächsischen Landtag nicht erwähnt hatte, liege zudem möglicherweise auch ein Verstoß gegen eine Vorschrift der Landesverfassung vor, wonach die Regierung verpflichtet ist, solche Anfragen grundsätzlich "nach bestem Wissen unverzüglich und vollständig zu beantworten".

"Grenze der Strafbarkeit eindeutig überschritten"

"Vieles" spreche auch dafür, so Arnim, dass Wulff auch die Strafvorschrift der Vorteilsannahme verletzt hat; dieses strafrechtliche Verbot, als Amtsträger "für die Dienstausübung einen Vorteil" anzunehmen, entspreche "in weiten Teilen" dem ministerrechtlichen Verbot. Der Ministerpräsident sei Amtsträger auch im strafrechtlichen Sinne, der zinsgünstige Kredit sei danach auch ein Vorteil, und die Mitnahme Geerkens auf Dienstreisen erfolgte in Ausübung des Ministerpräsidentenamtes.

Dass der Kredit "auch 'für' die Dienstausübung" - und damit in strafrechtlich relevanter Weise - gewährt worden sei, legten "der enge zeitliche Zusammenhang zwischen beiden" sowie die schon für die Verletzung des Ministergesetzes aufgeführte "Reihe von Indizien" nahe: Der Kaufvertrag, für den bereits die Kreditzusage vorgelegen haben müsse, wurde am 1. Oktober 2008 abgeschlossen, am 2. Oktober starteten Wulff und Geerkens gemeinsam nach China; während der Laufzeit des Kredits wurde Geerkens noch zwei weitere Male mitgenommen.

Rechtsprechung toleriert Sympathieerweise nicht

Das Einverständnis der Beteiligten, den Kredit auf diese konkreten Auslandsreisen zu beziehen, werde man zwar wohl "nicht sicher belegen" können, so Arnim. Das sei nach den Vorschriften des Strafgesetzbuchs zur Korruptionsbekämpfung aber auch gar nicht erforderlich. "Dienstliche Berührungspunkte zwischen Vorteilsgeber und Amtsträger", die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein wesentliches Indiz für das Vorliegen der sogenannten "Unrechtsvereinbarung" darstellten, lägen "offensichtlich" vor.

Auch die Freundschaft zwischen Wulff und Geerkens sei keine Entlastung, so Arnim. Die Rechtsprechung toleriere Sympathieerweise regelmäßig "nur bei relativer Geringfügigkeit", nicht aber bei einem Vorteil in einer Größenordnung wie hier.

Dies zeige auch ein Vergleich mit dem Fall des früheren EnBW-Managers Utz Claassen. Dieser hatte Gratis-Tickets für die Fußball-WM 2006 an Mitglieder der baden-württembergischen Landesregierung und einen Staatssekretär des Bundes verschickt. Während Claassen an einer Verurteilung wegen Vorteilsgewährung, dem Gegenstück zur Vorteilsannahme, "nur äußerst knapp vorbeischrammte" (Arnim), sei die Grenze der Strafbarkeit im Fall Wulff wohl "eindeutig überschritten".

Ermittlungen bisher abgelehnt

Damit werde auch deutlich, warum Wulff den Geerkens-Kredit "mit so großer Energie lange zu verheimlichen suchte", warum er dann "die Tatsachen nur scheibchenweise einräumte", warum er bei der "Bild"-Zeitung intervenierte, warum er sich lange nicht selbst äußerte, sondern nur über seine Anwälte: Denn die "rechtliche Beurteilung" des jetzt dennoch bekannt gewordenen Kredits und der Umstände, unter denen er gewährt wurde, förderten "den dringenden Verdacht" sowohl einer Verletzung des Ministergesetzes als auch einer strafbaren Handlung; damit trete "derart Schlimmes zu Tage", dass Wulff diese Tatsachen "freiwillig gar nicht offenlegen konnte, ohne Gefahr zu laufen, sich für sein Amt zu disqualifizieren und dessen Fortführung unmöglich zu machen".

Für Arnim liegt ein "hinreichender Tatverdacht" gegen Wulff auf Vorteilsannahme "definitiv vor"; damit müsste die Staatsanwaltschaft eigentlich Ermittlungen aufnehmen. Die Staatsanwaltschaft Hannover hat dies aber bislang abgelehnt.

Zwar müsste vor weitergehenden Schritten erst der Bundestag Wulffs Immunität aufheben. Nach Ansicht Arnims dürften die Staatsanwaltschaft "und die weisungsbefugten Instanzen bis hinauf zum Justizminister" sich nun nicht mehr auf den Standpunkt stellen, es lägen "keine zureichenden Anhaltspunkte" für eine Vorteilsnahme im Amt und damit für weitere Ermittlungen vor.

Gegen Geerkens dagegen könne die Staatsanwaltschaft ungehindert ermitteln, und müsse dies schon jetzt "von Rechts wegen auch tun - mit dem Ziel der Anklageerhebung".

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