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Wahlen in Russland: Interview mit Russland-Experte Alexander Rahr


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"Das stürzt Russland ins Verderben"

Das Interview führte Christina Rath

Aktualisiert am 04.03.2012Lesedauer: 7 Min.
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Eine Frau holt in Moskau ein Putin-Werbeplakat ein.Vergrößern des Bildes
Eine Frau holt in Moskau ein Putin-Werbeplakat ein. (Quelle: ap-bilder)

Einen Aufschrei der Entrüstung erwartet der Russland-Experte Alexander Rahr im Gespräch mit t-online.de, sollte es bei den Präsidentschaftswahlen in Russland am Sonntag erneut Wahlfälschungen geben. Ohnehin scheint Wladimir Putin der Favorit zu sein. Führt er das Land nicht in die Demokratie, wird Russland in einem halbautoritären Morast steckenbleiben, glaubt Rahr.

t-online.de: In Russland wird am Sonntag ein neuer Präsident gewählt. Gewinnt Putin?

Alexander Rahr: Putin wird die Wahlen gewinnen, höchstwahrscheinlich schon in der ersten Wahlrunde. Wenn es trotzdem eine zweite Wahlrunde gibt, wäre das eine große Überraschung, aber für die Demokratie in Russland sehr von Vorteil.

Warum?

Weil Putin eine größere Legitimität gewinnen würde. Er müsste noch einmal antreten und richtig um die Stimmen der Menschen kämpfen. Das würde Russland in Fragen der Demokratie weiterbringen.

In den vergangenen Wochen hat sich in Russland viel Widerstand gegen Putin geregt. Was kann er tun, um auch von den Unzufriedenen mehr akzeptiert zu werden?

Putin ist in einer schwierigen Situation. Es gibt in Russland plötzlich liberale Tendenzen. Doch wir dürfen eines nicht vergessen: Dieser neue Mittelstand, der jetzt auf die Straße geht und für mehr Pluralismus kämpft, macht heute nur rund 20 Prozent der Bevölkerung aus. 60 bis 70 Prozent der Russen sind Traditionalisten. Die wählen keinen Liberalen, sondern sie wählen Putin. Und wenn nicht ihn, dann vielleicht den Kommunisten Sjuganow oder den Nationalisten Schirinowski.

Jemand, der in Russland Präsident werden will, muss auf zwei Klavieren spielen. Er muss einerseits einen Dialog mit dieser Mittelschicht führen. Diese ist die Zukunft Russlands, ohne sie kann Putin nicht regieren. Gleichzeitig darf er aber auch die anderen Russen nicht verlieren, die große Masse der Menschen, die von ihm Stabilität fordert und seine Politik bislang noch unterstützt. Diesen Spagat muss er vollbringen.

Was ist Putin denn für ein Mensch? Demokrat oder Diktator?

Er ist kein Demokrat und kein Diktator, es gibt ja auch viel dazwischen. Er ist ein typischer Zar - allerdings ein aufgeklärter. Er versteht, dass im 21. Jahrhundert, im Zeitalter von Twitter, Facebook und der Globalisierung eine Demokratie in Russland nicht verhindert werden kann. Im Gegenteil, sie muss unterstützt werden. In Russland muss derselbe Pluralismus geschaffen werden, der in anderen aufgeklärten modernen Nationen in Europa herrscht. Ansonsten wird Russland in seiner Entwicklung vom Kommunismus in Richtung Zukunft in diesem halbautoritären Morast steckenbleiben.

Den Umgang mit modernen Kommunikationsformen hat Putin ja vor allem vom derzeitigen Präsidenten Medwedew gelernt. Was ist das für ein Gespann, wie ergänzen sich die beiden in ihrer Zusammenarbeit?

Putin war immer der ältere Bruder, Medwedew ein loyaler Präsident, ein Präsident unter Putin. Medwedew wusste von vornherein, dass er Präsident nur unter Putins Gnaden sein könnte, und er trat auch zurück, als Putin ihm sagte, er wolle wieder antreten. Wie es in Zukunft laufen wird, weiß ich nicht. Aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass Putin wieder der alleinige und starke Präsident werden wird.

Medwedew wird eine Zeitlang versuchen, als Premierminister eine liberale Wirtschaftspolitik durchzuführen, vielleicht auch politische Reformen anzustoßen. Ich meine aber, dass er mit der Zeit ersetzt werden wird – möglicherweise durch den ehemaligen Finanzminister Kudrin, der sich von Putin und Medwedew Schritt für Schritt emanzipiert hat.

Die Wahlen am Sonntag werden voraussichtlich freier und demokratischer verlaufen als die vorherigen...

...aber wenn doch wieder massiv gefälscht werden sollte, wird es zu Massenprotesten kommen in einem zuvor nie dagewesenen Ausmaß! Und diese Protestwelle könnte für den Kreml sehr gefährlich werden. Putin darf einfach nicht mehr fälschen! Seine engsten Mitarbeiter raten ihm das dringend. Sonst wird es in Russland einen Aufschrei der Entrüstung geben, der viel größer sein wird als der vor drei Monaten.

Vor allen Dingen, weil er es ja gar nicht nötig hat. Es gibt im Moment, wie es aussieht, sowieso keine Alternative zu Putin.

Genau so ist es. Aber es gibt in Russland ständig diesen Drang zum Maximalismus: 60 Prozent ist nicht genug, 51 Prozent ist eine Demütigung, man will immer 80 Prozent haben. Und das stürzt Russland ins Verderben.

Herr Putin scheint ja auch ein sehr eitler Mensch zu sein, was sich nicht nur an den Posen zeigt, in denen er sich von Fotografen ablichten lässt?

Ja, er ist wirklich eitel. Das sind Traditionen, die zum Personenkult des frühen 20. Jahrhunderts gehören und die mit Demokratie nichts zu schaffen haben. Aber erziehen Sie mal diese Elite um! Naja, die nächste Generation wird es richten.

Die nächste Generation, die ja auch viel weltoffener ist, mehr gereist ist und weiß, wie man auch leben kann...

...das sind die Menschen, die jetzt in die Führungsetagen in Wirtschaft und Politik aufsteigen. Das wird sich schneller ändern, als wir denken.

Wladimir Putin wird voraussichtlich als Sieger aus der Wahl hervorgehen. Entwickelt sich Russland unter ihm als Präsident in Richtung einer Demokratie, könnte sich das Land für Europa öffnen. Halten Sie auch eine Rückkehr zum Kommunismus für möglich?

Das schließe ich aus. Die Menschen in Russland haben alle Privateigentum, wollen Geld verdienen, sie wollen soziale Gerechtigkeit. Es gibt noch eine Nostalgie in Bezug auf die alte Sowjetunion. Doch in ihrer Mehrheit wollen sie die Kommunistische Partei nicht zurückhaben.
Die wahrscheinlichere Variante ist die, dass Russland sich in den nächsten Jahren, vielleicht Jahrzehnten in Richtung Demokratie durchwurschteln wird, und letztendlich dann doch ein demokratischer Staat wird. Die andere Variante ist, dass Russland irgendwo auf dem Weg zwischen Europa und Asien steckenbleibt und versucht, eine Oligarchie aufzubauen. Aber ein solches Modell ist aus meiner Sicht heute zum Scheitern verurteilt.

Sollten sich Russland und Europa einander annähern? Auch jetzt, in Zeiten eines schwachen Europa? Oder gerade deshalb?

Die Zeiten ändern sich in der Tat sehr dramatisch. Wir haben es mit einer Zeitenwende zu tun. Ich behaupte, Europa wird eher schwächer, relativ gesehen zu den neuen aufsteigenden asiatischen Mächten. Asien wird Europa überholen, Amerika wird sich von Europa emanzipieren, eigene Wege gehen und mehr auf China und den pazifischen Raum schauen. Europa wird sich dann überlegen müssen, wer seine tatsächlichen strategischen Partner sind. Es spricht vieles dafür, dass es ein Bündnis mit Russland geben wird, von dem Europa genauso profitieren wird wie Russland. Die Europäer werden Rohstoffe und Energieträger aus Russland bekommen, aber auch eine noch immer sehr gebildete, intellektuelle Schicht mit integrieren können, die beim Aufbau eines modernen Europas durchaus mithelfen könnte. Auf der anderen Seite wird Russland von einem technologischen Schub profitieren, den es aus dem Westen erfahren wird. Zusammen wird man gegenüber den asiatischen Mächten sicher stärker wirken können als getrennt.

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Russland könnte sich auch China zuwenden...

Hier gibt es Versuche, ein taktisches Bündnis aufzubauen, aber das ist schwierig, weil man sich von der ganzen Weltanschauung her ziemlich fremd ist. Die Chinesen haben eine andere Kultur als die Russen. Und auch die Russen, die heute in Wladiwostok leben, sind eher Europäer als Asiaten. Deshalb glaube ich, dass die russische Zukunft nur in Europa liegen kann.
Was die russisch-chinesische Position im Syrien-Konflikt angeht, so ist sie nicht so einfach abzutun als etwas Antiwestliches. Ich glaube, dass Russland und China auf einem ganz bestimmten Standpunkt stehen. Sie wollen nicht, dass sich die Weltordnung im Sinne des Westens verändert. Sie wollen die alte Weltordnung behalten, in der die Souveränität eines staatlichen Territoriums Vorrang hat vor Fragen der Menschenrechte, also die Selbstdefinition, die Selbstentwicklung, die Selbstentfaltung der Nation selbst. Der Westen möchte das ändern. Der Westen hat eine demokratische Moral und glaubt, dass diese demokratische Moral universal sei. China und Russland sind dagegen. Und ich glaube, dass das einer der größten Konflikte der Weltgeschichte ist: dass einige Nationen die Welt verändern wollen und dass andere dagegen sind. Daran werden wir noch einige Jahre knabbern müssen.


Europa tritt ja mitunter als Verhandlungspartner recht überheblich auf, in dem Sinne, dass es anderen Ländern seine Werte aufdrängen will.

So wird Europa nicht nur in der Ukraine, in Russland und in Weißrussland, sondern auch mehr und mehr in arabischen Ländern wahrgenommen. Europa hält sich für eine Zivilisation, die richtungsweisend für andere sein soll. Wir sind von unserem demokratischen Wertesystem hundertprozentig überzeugt, und das ist auch gut so. Wir haben ein freiheitliches, prosperierendes Europa geschaffen, das es nie in der Geschichte gab. Auf der anderen Seite müssen wir akzeptieren, dass es andere Kulturnationen gibt, die die sich gegen Belehrungen, einen Transfer demokratischer Werte wehren. Die sich entgegenstellen und sagen, wir wollen unsere eigenen Traditionen entwickeln, wir wollen unser eigenes Wertesystem schaffen, das sich von dem eurigen unterscheidet. Und da wir das nicht verstehen wollen, weil wir uns moralisch über diese Länder erheben, haben wir mit den Ländern meistens ein Problem.

Kann Europa stark sein ohne Russland?

Im Moment sieht es so aus, als ob die meisten europäischen Eliten weiterhin dem Traum einer starken transatlantischen Gemeinschaft nachhingen. Wir bauen ein Europa, das eingebettet ist in die transatlantische Gemeinschaft. Wir reden von einer Schicksalsgemeinschaft zwischen Amerika und Europa. Darin findet Russland keinen Platz, weil Russland und Amerika ehemalige Rivalen sind, zwei große Nationen, die nicht gemeinsam in ein Haus eintreten können. Ich glaube, dass diese Situation noch einige Jahre, vielleicht Jahrzehnte Bestand haben wird. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass sich der europäische Kontinent einmal auf eigenem Territorium neu justieren wird und man dann ein Bündnis zwischen EU-Europa und Russland schließen wird – mit dem Ziel, ein gemeinsames europäisches Haus zu schaffen. Dieses europäische Haus wird aber nicht auf westlichen Werten errichtet werden können, wie das der Westen heute will, sondern auf einer Interessensgemeinschaft. Aber bis wir soweit sind, bis wir verstehen, dass das für uns wichtig und notwendig ist, werden noch Jahrzehnte vergehen.

Aber das Verhältnis Deutschland und Russland ist doch wesentlich enger, sowohl im kulturellen als auch im wirtschaftlichen Bereich?

Das sehe ich auch so, weil sich die Deutschen und die Russen viel länger kennen als zum Beispiel Spanier und Russen. Die Tatsache, dass die Russen die Wiedervereinigung Deutschlands damals so massiv unterstützt haben, hat beide Nationen sehr stark zusammengebracht. Russland unter Putin, der ja sehr deutschlandfreundlich ist, versucht über Deutschland als Anwalt Russlands irgendwann einmal in Europa anzukommen. Das ist die Strategie, die Putin auch weiterhin verfolgen wird. Und für Deutschland ist es eine historische Chance, bei der Annäherung Russlands an den Westen eine große Rolle zu spielen.

Alexander Rahr ist Leiter des Berthold-Beitz-Zentrums – Kompetenzzentrum für Russland, Ukraine, Belarus und Zentralasien in der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Zuvor war Rahr wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsinstitut von Radio Freies Europa/Radio Liberty und Projektmanager am Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien. Er schrieb unter anderem Biografien von Michail Gorbatschow und Wladimir Putin. Sein neu erschienenes Buch heißt “Der Kalte Freund”. Im Jahr 2003 wurde Rahr das Bundesverdienstkreuz verliehen, zudem ist er Ehrenprofessor an der Moskauer Staatsuniversität für internationale Beziehungen.

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