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Rechte Anschläge in Deutschland: Nationalsozialistisch über Grund


Rechte Anschläge in Deutschland: Nationalsozialistisch über Grund

Von Stefan Gärtner, The European

Aktualisiert am 18.11.2011Lesedauer: 3 Min.
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Rechte Anschläge in Deutschland: Nationalsozialistisch über Grund (Quelle: CC-by-sa)

Der ZDF-Journalist Claus Kleber steht nicht im Verdacht, ein habitueller Löcker wider den Stachel der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu sein; aber selbst ihm fiel im Zusammenhang mit der Zwickauer Neonazi-Zelle, deren Bomberei von den zuständigen Stellen jahrzehntelang als durchaus unpolitisch eingeordnet worden war, die Frage ein, was wohl geschehen wäre, wären statt irgendwelcher Imbisstürken Bankvorstände in die Luft geflogen, und ob Polizei und Verfassungsschutz dann auch ohne Weiteres darauf verzichtet hätten, auf einem politischen Hintergrund zu bestehen. Hätten sie, so die unausgesprochene Antwort auf die rhetorische Frage, natürlich nicht, der halbe Fahndungsapparat des Landes wäre, auf der Suche nach der wiedererstandenen RAF, mobilisiert worden. Der Feind steht hierzulande nämlich links, immer noch.

Rechts hat Tradition in Deutschland

Die Formel, in Deutschland sei man eventuell auf dem rechten Auge blind, ist längst in die Kommentarspalten gesickert und klingt aber so wie die Erkenntnis, der Sender Gleiwitz sei gar nicht von den Polen überfallen worden. Die Bundesrepublik hat, das darf man nicht vergessen, eine stringente rechte Geschichte, sie verdankt ihre Gründung überhaupt nur der ihr zugedachten Rolle als Bollwerk und Grenzmark. Dass der junge Staat durchsetzt war von alten und nicht so alten Nazis, ist eine Binse, und waren sie keine, dann, wie Adenauer, konservativ bis auf die Knochen. Theodor Heuss, der erste Bundespräsident der Republik, die sich als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches verstand, hatte 1933 für das "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich", das Ermächtigungsgesetz, gestimmt, Adenauers Staatssekretär Globke die Rassengesetze kommentiert, Präsident Lübke KZ-Pläne unterschrieben. Kanzler Kiesinger war NSDAP-Mitglied seit Februar 1933, Präsident Carstens Angehöriger der Reiter-SA gewesen, Richard von Weizsäcker hatte in Nürnberg seinen Vater verteidigt, der als Staatssekretär im Reichsaußenministerium Deportationsbefehle nach Auschwitz abgezeichnet hatte, was ihm fünf Jahre Haft und aber den Trost des Sohnes einbrachte, das Urteil sei "historisch und moralisch ungerecht". Die deutsche SPD ist immer rechtssozialdemokratisch und antikommunistisch gewesen, der Radikalenerlass, der kommunistischen Briefträgern die Berufsausübung untersagt, war eine Erfindung der Regierung Brandt, und die letzten Kanzler der SPD, Schmidt und Schröder, waren beide "Genossen der Bosse", der eine der Vater des antirussischen NATO-Doppelbeschlusses, der andere der proletenfeindlichen Agenda 2010.

Da sollte es nicht Wunder nehmen, dass Rechtsextremismus in Deutschland stets als pädagogisches Problem betrachtet worden ist. Es handelte sich da immer um verwirrte, arbeitslose junge Männer, die halt nicht wissen, wohin mit sich; und deren Mordanschläge in den Neunzigerjahren aber so erfolgreich waren, dass zwar nicht nach einer Braunen Armee Fraktion gefahndet wurde – in Rostock-Lichtenhagen stand die Polizei tatenlos neben dem brennenden Asylantenheim –, dafür aber ohne viel Federlesens eine der heiligsten Kühe des Grundgesetzes, das Asylrecht, geschlachtet wurde. Was in etwa so ist, als hätte der Bundestag nach der Schleyer-Entführung den Arbeitgeberverband verboten.

Rechtsextremismus? Wurscht!

Was immer in Deutschland links war oder ist, wird auf allen Kanälen rund um die Uhr dämonisiert oder wenigstens lächerlich gemacht, das Recht von Daimler-Benz und Deutscher Bank auf grenzenlose Akkumulation von Kapital ist, trotz Finanzkrise und Occupy, konstituierender Teil der deutschen Staatsräson. Wer dieses Recht beschneiden will, ist ein Staatsfeind; wer das nicht will, aber Ausländer in die Luft jagt, ist ein Wirrkopf, der im Kern freilich recht hat, fast die Hälfte der Deutschen fühlt sich schließlich überfremdet. Gerade vor Wahlkämpfen wird auf derlei Rücksicht genommen.

Wenn sie sich entscheiden müsste, müsste die Bundesrepublik zugeben, dem Großdeutschen Reich dann doch etwas näher zu stehen als der DDR, weshalb jenes auch bloß ein "Freak-Unfall der Deutschen" (M. Matussek) war und diese Tag für Tag das Stasi-Reich des Bösen ist. Und deshalb hatte auch keiner der türkischen, griechischen oder persischen Familien, aus denen die Opfer des sogenannten "Nationalsozialistischen Untergrunds" stammen, einen Zweifel daran, dass die Anschläge Nazi-Anschläge waren. "Wir haben immer wieder gesagt, es war kein Drogenkrieg, keine Mafiabombe, sondern ein Rechtsradikaler. Niemand hat uns zugehört", zitiert die "Süddeutsche Zeitung" eine Anwohnerin der Straße in Köln-Mülheim, in der 2004 eine Nagelbombe explodierte. "Wir haben den Rechtsextremismus nie unterschätzt", sagt Innenminister Friedrich zwei Seiten später. Und in gewissem Sinne hat er da sogar recht. Man kann nicht unterschätzen, was einem wurscht ist.

Stefan Gärtner ist Jahrgang 1973, studierte Geisteswissenschaftliches in Mainz und New York und war von 1999 bis 2009 Redakteur beim endgültigen Satiremagazin "Titanic". Gärtner schreibt neben dem monatlichen Politessay fürs Hausblatt offizielle Biographien über Bundesaußenminister ("Guido außer Rand und Band", mit Oliver Nagel), sprachkritische Lowseller ("Man schreibt deutsh") und manchmal Witze fürs Fernsehen.

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