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Polizistenmord in Augsburg: Tod ohne Warnung


Justiz
Polizistenmord in Augsburg: Tod ohne Warnung

spiegel-online, Von Julia Jüttner

Aktualisiert am 15.02.2013Lesedauer: 4 Min.
Zwei Brüder sollen im Herbst 2011 bei Augsburg einen Polizisten getötet habenVergrößern des BildesZwei Brüder sollen im Herbst 2011 bei Augsburg einen Polizisten getötet haben (Quelle: dapd)
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Raimund M. und Rudolf R. sollen bei einer Verfolgungsjagd im Augsburger Siebentischwald den Polizisten Matthias V. getötet haben. Nun beginnt der Prozess gegen die beiden Brüder.

Die Nüchternheit des Funkprotokolls birgt die Grausamkeit jener Verfolgungsjagd, die sich in der Nacht zum 28. Oktober 2011 zugetragen hat. "Personen vermummt. Schussabgabe", ruft Diana K. in ihr Handfunkgerät. Es ist 2.53 Uhr. Fünf Minuten später: "Kollege verletzt." Verzweifelt fordert sie einen Notarzt und Verstärkung. 3.16 Uhr funkt ein anderer Polizist: "Kollege schwer verletzt." Drei Minuten später: "Kollege verstorben."

Wegen Mordes an dem Polizeibeamten Matthias V. müssen sich ab kommender Woche die Brüder Raimund M., 59, und Rudolf R., 57, vor der 8. Kammer des Landgerichts Augsburg verantworten. Es ist ein Mammutprozess zu erwarten, mit mehr als 200 Zeugen und einer zähen Strategie der Verteidiger. Denn die Beweislage ist dünn, die Angeklagten schweigen eisern.

Die Staatsanwaltschaft stützt ihre Anklage auf DNA-Spuren von Raimund M. am Tatort und Blutspuren des getöteten Polizisten auf einer Tasche, die den beiden Brüdern gehört. Als Nebenkläger treten die Witwe des getöteten Polizisten, der auch zwei Söhne im Teenager-Alter hinterlässt, sowie dessen Kollegin Diana K., 30, auf. Sie war nach dem Vorfall schwer traumatisiert, arbeitet heute im Innendienst.

Ihre Nachtschicht mit Matthias V., 41, hatte an jenem 28. Oktober 2011 ruhig begonnen. Als Streife der Polizeiinspektion Augsburg-Süd waren sie präventiv unterwegs, als sie auf den Parkplatz im Augsburger Stadtteil Hochzoll-Süd fuhren. Es herrschte dichter Nebel, die Temperaturen waren frostig.

Da standen plötzlich zwei Männer neben einem anthrazitfarbenen Motorrad. Die Beamten hielten, stiegen aus, reine Routinekontrolle. Die Männer sprangen auf die Honda, brausten davon, die beiden Polizisten im Streifenwagen hinterher. Die Verfolgungsjagd ging über den Hochablass, eine befahrbare Staustufe über den Lech, und dann in den Siebentischwald, eine Strecke, die in erster Linie Fußgänger und Radfahrer benutzen.

In einer sogenannten Z-Kurve verloren die Beamten kurz den Anschluss, weil sie mit dem Wagen zurücksetzen mussten, holten aber wieder auf und folgten dem Motorrad in den Wald. Auf dem glitschigen Boden gerieten die Verfolgten ins Schleudern und stürzten auf dem belaubten Weg. Der Polizeiwagen stoppte, die Beamten stiegen aus.

Ohne Vorwarnung neun Schüsse aus der Kalaschnikow

"Polizei! Halt! Stehenbleiben! Hinlegen!", riefen sie. Ohne ein Wort zu sagen, eröffnete einer der Männer das Feuer - keine zehn Meter entfernt. Im Kegel des Streifenwagenscheinwerfers muss der Schütze Matthias V. gesehen haben, davon sind die Ermittler überzeugt.

Mit einer Kalaschnikow schoss er gezielt siebenmal auf Matthias V. Die schusssichere Weste, die der Polizist trug, konnte ihn nicht retten. Der 41-Jährige wurde unter anderem an der Halsschlagader getroffen. Seine Kollegin schoss mehrfach auf die Flüchtenden, die das Motorrad zurückließen. Sie selbst erlitt einen Streifschuss.

Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft hatten Raimund M. und Rudolf R. die Honda CB 500 geklaut und trafen sich in jener Nacht, um einen Raub zu begehen - bewaffnet mit zwei Kalaschnikows und zwei halbautomatischen Selbstladepistolen der Marken Tokarew und FEG. Es war nicht ihr erster Überfall: Fünfmal sollen sie zwischen 2002 und 2011 Wertransportfirmen und einen Supermarkt ausgeraubt und insgesamt etwa 650.000 Euro erbeutet haben. Mit ihren Opfern gingen sie äußerst brutal vor, schlugen auf sie ein, verletzten sie teilweise schwer. Die Staatsanwaltschaft wird im Prozess versuchen, eine Indizienkette zwischen diesen fünf mitzuverhandelnden Raubüberfällen und dem Polizistenmord herzustellen.

Nach dem Mord an Matthias V. fahndete die Sonderkommission "Spickel" Wochen nach den flüchtigen Tätern, bis sie auf Rudolf R. stieß, der mit seiner Mutter in Augsburg wohnte. Schon einmal hatte Rudolf R. 1975 einen Augsburger Polizisten getötet: Kaltblütig erschoss er den 31-Jährigen an der Autobahnraststätte Augsburg-Nord. 19 Jahre lang saß er deshalb im Gefängnis, wurde vorzeitig entlassen - wegen guter Sozialprognose. Der Rest seiner lebenslangen Strafe wurde auf Bewährung ausgesetzt.

Durch Abhör- und Überwachungsaktionen geriet auch sein Bruder Raimund M. ins Visier. Der war bislang nicht aktenkundig, wohnte mit seiner Ehefrau, einer Standesbeamtin, in Friedberg, einem Nachbarort von Augsburg. Nach außen führte er ein bürgerliches Leben, arbeitete als Platzwart bei einem Tennisverein.

Ausrede: Parkinson

Nach der Festnahme der Brüder im Dezember 2011 wurde jedoch im Keller von Nadja M., der Tochter Raimund M.s, ein Waffenlager entdeckt: drei weitere Kalaschnikows, eine Maschinenpistole, mehrere Kurzwaffen, acht Handgranaten, viel Munition.

Die 33-Jährige wurde bereits vom Amtsgericht Augsburg zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Sie hatte zugegeben, von den Waffen im Keller, aber nichts von den Raubüberfällen ihres Vaters gewusst zu haben. Dennoch will sie ihm Spezialreinigungsmittel besorgt haben - ohne zu fragen, wofür er es brauchte. Und sie hatte nach der Festnahme ihres Vaters 38.000 Euro aus einer der Kisten im Keller genommen und hinter der Sockelleiste in ihrer Küche versteckt. Das Geld fand die Polizei trotz einer Hausdurchsuchung nur, weil Nadja M. sie darauf aufmerksam gemacht hatte.

Auch auf ihre Mutter, Raimund M.s Ehefrau, wartet ein Prozess. Unklar ist bislang, inwieweit sie in das Doppelleben ihres Ehemanns eingeweiht war. Die Brüder sollen nach Aussage eines Mitgefangenen eine Geiselnahme geplant haben, um sich aus der Haft freizupressen. Seither sitzen sie - der eine in der JVA Straubing, der andere in der JVA Landshut - in strenger Einzelhaft, ohne Fernseher, ohne Freigang.

Raimund M. ist an Parkinson erkrankt. Sein Verteidiger, Adam Ahmed, stellt die Tatbeteiligung des 59-Jährigen in Frage. "Aufgrund seines Gesundheitszustands wäre er gar nicht in der Lage, die ihm vorgeworfenen Taten zu begehen", so Ahmed. Im Verfahren müsse geklärt werden, ob Raimund M. überhaupt imstande sei, ein Motorrad zu steuern oder Sozius zu sein - geschweige denn zu schießen.

"Er wird wenig Glück haben, sich in seine Krankheit zu flüchten", sagt hingegen Rechtsanwalt Walter Rubach, der die Witwe des erschossenen Beamten vertritt. "Raimund M. hat sich ausgesprochen aktiv verhalten - nach der Tat und in der Haft. Es gibt genügend Augenzeugen, die ihn als hellwachen, sehr beweglichen Menschen erlebt haben." Ein Bediensteter der JVA soll ihn neun Monate nach der Tat dabei beobachtet haben, wie er täglich einen Handstand, Bizepsübungen und Liegestützen absolvierte und gefüllte Wassereimer stemmte.

Die Parkinson-Erkrankung soll Raimund M. auch nicht von den Raubüberfällen in der Vergangenheit abgehalten haben. Schon damals fiel einem Zeugen auf, wie stark einer der Täter zitterte.

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