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Pentagon plant Jahrhundert-Raumschiff


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Pentagon plant Jahrhundert-Raumschiff

spiegel-online, Von Alexander Stirn

Aktualisiert am 22.06.2011Lesedauer: 5 Min.
Könnte so das "Jahrhundertraumschiff" aussehen?Vergrößern des BildesKönnte so das "Jahrhundertraumschiff" aussehen? (Quelle: NASA)
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Das Pentagon will den Traum von Forschern und Science-Fiction-Fans wahr machen: Menschen sollen zu fernen Sternen fliegen. Die Forschungsabteilung des US-Verteidigungsministeriums sammelt jetzt Ideen für das "100 Year Starship". Der Etat ist allerdings bescheiden.

Futuristische Waffen, exotische Antriebe, merkwürdige Fluggeräte: Geht es um gewagte Forschungsprojekte, ist die Darpa nicht selten mit von der Partie. Die Forschungsabteilung des Pentagon macht immer wieder Schlagzeilen - teils mit konkreten militärischen Projekten wie Hyperschall-Geschossen und Spionage-Raumschiffen, teils mit bizarr anmutenden Ideen für die ferne Zukunft.

In letztere Kategorie fällt das jüngste Vorhaben: Die Darpa will den Anstoß für die Entwicklung eines Raumschiffs geben, mit dem Menschen in 100 Jahren zu den Sternen fliegen können. "100 Year Starship" lautet der wenig einfallsreiche, dafür aber markenrechtlich geschützte Name des Projekts. Das - frei übersetzt - "Jahrhundert-Raumschiff" soll die Grenzen des Sonnensystems überwinden, es soll sich auf den Weg zu lebensfreundlichen Exoplaneten machen, es soll neue Welten und unbekanntes Leben erforschen. Star Trek lässt grüßen.

Vor allem aber soll das Projekt inspirieren: "Beim '100 Year Starship' geht es um mehr als nur um den Bau eines Raumschiffs oder die Entwicklung einer speziellen Technologie", sagt Darpa-Koordinator Paul Eremenko. "Wir wollen mehrere Generationen dafür begeistern, quer durch alle Disziplinen Innovationen wahr werden zu lassen und so dem Ziel des interstellaren Reisens endlich näher zu kommen."

Die Grenzen des physikalisch Machbaren ausloten

Rund eine halbe Million Dollar stehen dafür zur Verfügung - nicht gerade viel für ein Jahrhundertprojekt. Dennoch hofft die Darpa, auf diese Weise eine private Organisation zu finden, die sich des Problems annimmt, die Ideen und Experten einsammelt und die Leidenschaft für solch ein Jahrhundertprojekt weckt. "Energiegeladen und autark" sollte das Unternehmen sein, so der Wunsch der Darpa. Vor allem aber muss es genügend Atem haben, um hundert Jahre durchzuhalten. In Zeiten, in denen Raumfahrtprojekte - wie zuletzt George W. Bushs Vision von einer Rückkehr zum Mond - kaum länger als eine Legislaturperiode Bestand haben, ist das ein überaus ambitioniertes Unterfangen.

Aber auch ein faszinierendes: "Einfach mal den Gedanken freien Lauf zu lassen, an die Grenzen des physikalisch Machbaren zu gehen und zu schauen, was irgendwann möglich sein könnte, ist toll und sehr erfrischend", sagt der ehemalige deutsche Astronaut Ulrich Walter im Gespräch mit Spiegel Online. Als Inhaber des Lehrstuhls für Raumfahrttechnik an der TU München beschäftigt sich Walter in der Regel mit weitaus handfesteren Problemen - mit Stühlen für die Internationale Raumstation ISS etwa oder dem Ablauf möglicher Mondmissionen. Dennoch plädiert er dafür, auch verrückt klingenden Projekten wie dem "100 Year Starship" eine Chance zu geben. "Vieles wird dabei spinnert sein", sagt Walter. "Aber selbst, wenn später nur zwei oder drei Prozent Realität werden, hat es sich schon gelohnt."

Der Raumfahrtexperte Marc Millis ist davon weniger überzeugt. In den neunziger Jahren leitete der Ingenieur das "Breakthrough Propulsion Physics Project" der US-Raumfahrtbehörde NASA, eine unterfinanzierte Alibiveranstaltung zu interstellaren Antrieben. Heute führt Millis die Tau Zero Foundation, die sich um genau das kümmert, was das "100 Year Starhip"-Projekt einmal leisten soll: interstellare Visionen. "Während meiner 30 Jahre bei der NASA habe ich alles Mögliche gesehen - von ehrenwerten, gut gedachten Initiativen bis hin zu Aufträgen, die alten Seilschaften zugeschustert wurden", schreibt Millis im Blog seiner Stiftung. "Auch nach den ersten Gesprächen weiß ich noch nicht, in welche Richtung das '100 Year Starship' gehen wird."

Darpa sammelt Ideen für Raumschiffe ein

Die Darpa lässt sich von solcher Kritik nicht beeindrucken. Mehr als 150 Ideen hat die Agentur bereits eingesammelt. Die Vorschläge reichen von ernst gemeinten Konzepten für den Aufbau einer Starship-Organisation über Tipps zu Experten bis hin zu Bewerbungen um eine Mitfluggelegenheit im ersten interstellaren Raumschiff.

Sitzplatzreservierungen wären derzeit allerdings verfrüht. Nicht nur die organisatorischen, auch die technischen Herausforderungen sind immens. Der derzeit heißeste Kandidat für einen lebensfreundlichen Exoplaneten, das System um den Stern Gliese 581, ist zum Beispiel mehr als 20 Lichtjahre von der Erde entfernt. Bei dem Tempo, mit dem einst die amerikanischen "Apollo"-Kapseln zum Mond flogen, würde solch eine Reise mehr als 500.000 Jahre dauern. Höhere Geschwindigkeiten, möglichst nahe oder sogar über der Lichtgeschwindigkeit, müssen her.

Der dafür notwendige Energiebedarf ist allerdings immens. Marc Millis hat berechnet, dass die Erde erst im Jahr 2200 genügend Energie erzeugen wird, um ein Raumschiffe überhaupt auf eine interstellare Reise schicken zu können. Das Schiff der Zukunft muss seine Energie daher selbst produzieren.

Ideen dazu gibt es zuhauf: Das "Orion"-Projekt, mit dem die Amerikaner in den sechziger Jahren zu den Sternen aufbrechen wollten, sollte Atombomben im Heck seiner Rakete zünden. Das britische "Daedalus"-Projekt setzte Ende der siebziger Jahre auf Kernfusion. Die Japaner versuchen es heutzutage mit Sonnensegeln.

Die Chancen stehen gut, dass in 100 Jahren keine dieser Technologien benutzt werden wird. David Neyland, Leiter des Darpa-Büros für taktische Technologie, zitiert in diesem Zusammenhang gerne Jules Verne. Der französische Schriftsteller ersann 1865 den Plan, Menschen mit Kanonenkugeln auf den Mond zu schießen. Hundert Jahre sollten vergehen, bis tatsächlich der erste Mensch den Erdtrabanten erreichte - auf die Reise geschickt von einem Wasserstoff-Sauerstoff-Triebwerk. Für Jules Verne war solch eine Technologie unvorstellbar. Aber immerhin: Er hatte das Ziel vorgegeben - genau so, wie es das Jahrhundertraumschiff der Darpa nun ebenfalls machen soll.

Terraforming auf dem Mars

Auch die Frage, warum Menschen überhaupt zu den Sternen fliegen wollen, haben die Pentagon-Forscher bereits geklärt. Bei einem Workshop Anfang des Jahres, an dem neben Raumfahrtexperten und Science-Fiction-Autoren auch der Biochemiker Craig Venter teilnahm, kristallisierten sich zwei Hauptgründe heraus: um zu überleben, falls irgendwann einmal ein Asteroid auf die Erde zurast - und um Kontakt mit anderen Lebensformen aufzunehmen.

Ulrich Walter ist vom Sinn solcher Reisen dagegen nicht überzeugt. "Das Sonnensystem zu verlassen, erscheint mir nicht sonderlich reizvoll", sagt der Physiker. Eine bemannte Landung auf dem Mars sei nicht nur realistischer, sondern auch deutlich interessanter. Dort könnte die Menschheit nach Spuren von Leben suchen, sie könnte Kolonien errichten und sich im Terraforming - der Umwandlung eines Planeten in einen bewohnbaren Himmelskörper - versuchen.

Aber ist es nicht der Traum eines jeden Raumfahrers, das Sonnensystem hinter sich zu lassen? "Mars, Mars, Mars", sagt Walter, der ehemalige Astronaut, und lacht. "Wenn ein Mensch dort landet, schaut die ganze Welt zu."

Der ersten Crew eines interstellaren Raumschiffs wird solcher Ruhm wohl verwehrt bleiben. Angesichts der enormen Entfernungen dürfte das "100 Year Starship" (sofern der Warp-Antrieb nicht doch noch erfunden wird) ein Generationenraumschiff sein, bevölkert von mehreren Hundert Pionieren: Die Menschen leben an Bord, und sie lieben sich. Sie pflanzen sich fort, und sie sterben. Die Crew, die startet, wird die fernen Sterne nie erreichen. Die Crew, die am Ziel ankommt, wird die Erde nie gesehen haben.

Ganz bewusst lädt die Darpa daher auch Ethiker ein, um die Rechtfertigung eines solchen Himmelfahrtskommandos zu diskutieren. Walter sieht das pragmatischer. "Wenn eines Tages ein Asteroid einzuschlagen droht, und die Menschheit ganz plötzlich eine Arche braucht, wird niemand mehr mit solch ethischen Bedenken ankommen."

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