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"Ruanda Modell" auch für Deutschland? Was für ein fataler Irrweg


Tagesanbruch
Dann würde Deutschland einen fatalen Fehler begehen

  • David Schafbuch
MeinungVon David Schafbuch

Aktualisiert am 25.04.2024Lesedauer: 6 Min.
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Olaf Scholz: Der Bundeskanzler empfing den britischen Premierminister Rishi Sunak im Kanzleramt. (Quelle: Kay Nietfeld/dpa)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

Olaf Scholz hatte gestern ungewohnten Besuch. Es ist einige Jahre her, seit das letzte Mal ein britischer Regierungschef im Kanzleramt in Berlin empfangen wurde. 2019 war ein gewisser Boris Johnson gerade mal einen Monat im Amt, da führte ihn sein erster Auslandsbesuch direkt nach Berlin zu Angela Merkel. Johnson versuchte damals, von der Kanzlerin Zugeständnisse für den EU-Austritt Großbritanniens auszuhandeln. Doch die Charmeoffensive, bei der er sogar Merkels berühmten Satz "Wir schaffen das" zitierte, verpuffte in Berlin.

Bis zum gestrigen Tag ließ sich kein britischer Regierungschef mehr in der Hauptstadt blicken. Johnsons Kurzzeitnachfolgerin Liz Truss hatte es in ihrer eineinhalb Monate langen Amtszeit nicht einrichten können – und Rishi Sunak brauchte jetzt ganze 18 Monate im Amt für seinen Antrittsbesuch.

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Der Zeitpunkt schien günstig. Sunak sieht sich selbst gerade politisch im Aufwind. Dienstagnacht wurde vom britischen Oberhaus das sogenannte "Ruanda-Gesetz" gebilligt. Künftig sollen damit alle Geflüchteten, die ohne die nötigen Papiere auf der Insel ankommen, nach Ruanda geflogen werden. Erst dort dürfen sie einen Asylantrag stellen. Bei Erfolg dürfen sie dann in dem afrikanischen Land bleiben, die Rückkehr nach Großbritannien ist nicht vorgesehen. Was Sunak für sich als Erfolg verbucht, ist in Wahrheit ein Verfahren, das nicht praktikabel, dafür aber menschenunwürdig ist.

Trotzdem haben auch in Deutschland schon einige Politiker öffentlich Sympathien für eine ähnliche Praxis bekundet. "Jeder, der in Europa Asyl beantragt, soll in einen sicheren Drittstaat überführt werden und dort ein Verfahren durchlaufen. Im Falle eines positiven Ausgangs wird der sichere Drittstaat dem Antragsteller vor Ort Schutz gewähren", heißt es etwa wortwörtlich im Entwurf des neuen Grundsatzprogramms der CDU. Offen zeigen sich auch die FDP oder Politikerinnen wie Sahra Wagenknecht. Die AfD hatte bereits vorgeschlagen, das "Ruanda-Modell" im gesamten EU-Raum anzuwenden.

Es wäre für Deutschland ein fataler Irrweg, und zwar humanitär, juristisch und auch finanziell.

Grundsätzlich halten es verschiedene Experten für möglich, Asylverfahren in sichere Drittstaaten auszulagern. Ruanda ist dafür allerdings nicht geeignet: Die Meinungsfreiheit und die Handlungsmöglichkeiten der Opposition sind dort stark eingeschränkt, die Wahlen entsprechen nicht demokratischen Standards und politische Gegner werden immer wieder zu Unrecht inhaftiert. So schreiben es nicht nur NGOs, sondern auch das deutsche Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit.

Gleichzeitig wird sich die britische Regierung wohl in Zukunft trotz des Gesetzes auf neue Klagewellen einstellen müssen. Der Oberste Gerichtshof in Großbritannien hatte zunächst entschieden, dass das Vorhaben gegen das britische Recht und das Völkerrecht verstößt. Die britische Regierung hebelt das allerdings mit einem Trick aus: Kurzerhand wurde Ruanda per Gesetz nämlich zum sicheren Drittstaat erklärt, obwohl das Gericht zuvor entschieden hatte, dass es genau das nicht ist.

Bereits vor zwei Jahren stoppte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einen geplanten Ruanda-Flug in letzter Minute. Es ist gut möglich, dass das Gericht auch künftig so entscheiden wird. Sunak hat allerdings schon angekündigt, dass er sich zur Not auch darüber hinwegsetzen will. Den Hardlinern innerhalb Sunaks Konservativen reicht das übrigens auch nicht aus: Sie würden gerne die britischen Menschenrechtsgesetze, die Europäische Menschenrechtskonvention, die Genfer Flüchtlingskonvention und weitere Abkommen aufkündigen. Verträge aufkündigen, das hat ja schon beim Brexit wunderbar funktioniert.

Aber sind die Ruanda-Flüge vielleicht am Ende wenigstens günstiger als die bisherigen Verfahren? Auch daran gibt es große Zweifel. Noch ist kein einziger Flug gestartet. Trotzdem soll das Vorhaben schon eine halbe Milliarde Euro verschlungen haben. Pro geflüchteter Person werden die Kosten auf mehrere Hunderttausend Euro geschätzt. Zum Vergleich: Bundeskanzler Olaf Scholz hatte sich mit den Ministerpräsidenten im vergangenen Jahr darauf geeinigt, dass der Bund pro Asylantragsteller künftig eine Pauschale von 7.500 Euro pro Jahr zahlen will.

All die genannten Einwände sollten für Deutschland Grund genug sein, um dem Beispiel Großbritannien nicht zu folgen. Allerdings habe ich Ihnen das beste Gegenargument noch verschwiegen: Pro Jahr sollen die Aufnahmekapazitäten in Ruanda aktuell nur für wenige Hundert Geflüchtete ausgelegt sein. Allein in diesem Jahr sind bis März 4.600 Menschen mit Booten auf die Insel gekommen. Sunak hatte immer wieder davon gesprochen, dass die Maßnahme auch als Abschreckung für Geflüchtete dienen soll, den Weg nach Großbritannien gar nicht erst anzutreten. Doch wie soll das funktionieren, wenn jeder weiß, dass nur ein Bruchteil der Ankommenden tatsächlich in Ruanda landen wird?

Der Bundeskanzler sprach das Thema nicht direkt an, als er und der britische Regierungschef am gestrigen Nachmittag vor die Presse traten. Aber einige Formulierungen ließen dann doch tief blicken: Man werde weiter mit Großbritannien in Migrationsfragen zusammenarbeiten, aber "unter Wahrung von Grundrechten und internationalem Recht", ließ Scholz die Hauptstadtpresse wissen. Die Aussagen waren klar auf das Ruanda-Modell gemünzt. Zudem setze sich der Kanzler weiter für legale Migrationswege ein. Denn die brauche man, "damit Wirtschaftswachstum und ökonomischer Wohlstand auch in Zukunft gewährleistet sind". Scholz machte damit deutlich, dass sich die Briten aus seiner Sicht mit dem Brexit gehörig verrechnet haben.

Als Scholz dann direkt gefragt wurde, ob das Ruanda-Modell auch für Deutschland eine Option sei, wich er der Frage aus. Man habe bereits im vergangenen Jahr die weitreichendsten Maßnahmen zur Migrationssteuerung in den letzten 20 bis 30 Jahren übernommen. Zudem verwies der Kanzler auf die jüngste Asylreform der EU. Es war die zweite verbale Ohrfeige an den Brexit-Unterstützer Sunak.

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Völlig abwegig hält die Bundesregierung das Modell aber wohl doch nicht. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) lässt gerade von diversen Experten eine "Drittstaatenregelung" prüfen. Erste Ergebnisse soll es dazu im Juni geben. Großbritannien hat übrigens bereits weitere Länder für neue Deals ins Auge gefasst: Im Gespräch sind Abschiebeverfahren in Armenien, Costa Rica, der Elfenbeinküste und Botswana.


Jetzt muss er den Kopf einziehen

Irgendwie darf er weitermachen, aber irgendwie auch nicht. Maximilian Krah bleibt Spitzenkandidat der AfD bei der Europawahl, obwohl einer seiner Mitarbeiter jüngst wegen mutmaßlicher Spionage für China festgenommen wurde. Allerdings wird Krah für die Rechtspopulisten weder auf Wahlplakaten noch auf dem fürs Wochenende geplanten Auftakt zum Europawahlkampf der Partei zu sehen sein. Auch fertige Wahlwerbespots mit ihm wurden nach einem Krisengespräch wieder eingestampft.

"Wenn Sie jetzt aber glauben, das sei das Ende meiner Spitzenkandidatur, dann muss ich Sie enttäuschen. Ich bin und bleibe Spitzenkandidat", verkündete Krah kämpferisch, nachdem er sich vor der Parteispitze erklären musste. Allerdings stand sein Rückzug überhaupt nicht zur Debatte. Denn die Kandidatenliste für die Europawahl lässt sich nicht mehr ändern. Auch ein Rücktritt von dem Spitzenplatz ist technisch nicht vorgesehen. Lediglich im Falle einer Verurteilung wegen einer schweren Straftat ist der Verlust des passiven Wahlrechts möglich. Gestern Abend teilte die Generalstaatsanwaltschaft in Dresden mit, dass Ermittlungen gegen Krah geprüft werden: Dabei soll es um Zahlungen sowohl aus Russland als auch aus China gehen.


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Zum Schluss

Bereit für den Strand?

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Donnerstag. Morgen schreibt Ihnen wieder Florian Harms.

Herzliche Grüße

Ihr

David Schafbuch
Stellvertretender Ressortleiter Politik & Wirtschaft
X: @Schubfach
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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