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Fall Dennis: Der Mann mit der Maske


Justiz
Der Mann mit der Maske

Aktualisiert am 10.10.2011Lesedauer: 6 Min.
Bei den Ermittlungen gegen den Mann mit der Maske soll es mehrere Pannen gegeben habenVergrößern des BildesBei den Ermittlungen gegen den Mann mit der Maske soll es mehrere Pannen gegeben haben (Quelle: dpa-bilder)
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Martin N. hat gestanden, drei Jungen getötet und etwa 40 sexuell missbraucht zu haben. Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen beginnt nun der Prozess gegen den Hamburger. Die Vernehmungsprotokolle dokumentieren, wie der ehemalige Jugendbetreuer zum Serientäter wurde.

Den Kindern muss es wie ein Alptraum vorgekommen sein. Ein Mann, schwarz gekleidet, das Gesicht hinter einer Maske versteckt, der sich nachts an den Ort schleicht, an dem sie sich am sichersten fühlen: ihr zu Hause. Der sich ans Bett pirscht, Angst einjagt und weh tut. Der in der Dunkelheit in Kinderzimmer, Ferienlager, Schullandheime einsteigt, seine Opfer missbraucht, entführt, tötet.

Zwei Jahrzehnte lang hat die Polizei nach Martin N. gefahndet. Im April wurde der 40-Jährige festgenommen, am Montag beginnt unter strengen Sicherheitskontrollen am Landgericht Stade der Prozess gegen ihn wegen dreifachen Mordes und sexuellen Missbrauchs. Etwa 20 Fälle sind allerdings verjährt.

Zusammenbruch nach Festnahme

Martin N. hat ein umfassendes Geständnis abgelegt. Ob er sich auch vor Gericht einlassen, alle Details schildern wird, ist unklar. Seine Verteidiger halten sich bislang bedeckt. Tut er es nicht, werden viele seiner Opfer als Zeugen aussagen müssen.

Widerstandslos hatte sich Martin N. am 13. April festnehmen lassen. Auf der Fahrt zum Revier übergab er sich aus dem offenen Fenster. Eine Nacht lang schwieg er zu den Vorwürfen. Am nächsten Tag brach er zusammen, vertraute sich Profiler Alexander Horn und Soko-Chef Martin Erftenbeck an. Das Protokoll der Vernehmung dokumentiert, wie der ehemalige Jugendbetreuer zum Serientäter wurde.

Zunächst drei Fälle gestanden

Eine stundenlange Prozedur, an deren Ende der 40-Jährige sagte, er habe jetzt "alles" aufgezählt, was er "angestellt" habe.

"Alles" heißt:

- 1992 entführte Martin N. den 13-jährigen Stefan J. aus einem Internat in Scheeßel (Kreis Rotenburg) und tötete ihn.

- Drei Jahre später entführte er den achtjährigen Dennis R. aus einem Ferienlager bei Schleswig.

- 2001 entführte er aus einem Landheim nahe Bremerhaven den neunjährigen Dennis K. und tötete ihn.

Er habe dabei immer eine Sturmhaube getragen, behauptet Martin N. An zwei der Jungen habe er sich vergangen.

Gemordet, um Zeugen zu beseitigen

Nachdem er Stefan missbraucht hatte, so sagt er auf der Polizeiwache, sei ihm klar geworden, dass er den Jungen nicht mehr weglassen könne, weil er sein Auto und Nummernschild gesehen habe. Dann habe er ihn "umgebracht". Martin N. weint sich durch das Geständnis, verschluckt Sätze, windet sich in Weinkrämpfen, so dokumentiert es das Vernehmungsprotokoll.

Er habe Stefan gestreichelt; ihm in die Hose gefasst und "irgendwie" sei ihm bewusst geworden, dass er "Blödsinn" gemacht habe.

Von einem Drang getrieben

Es gab Phasen, in denen er auf der Jagd war. Mal habe er "irgendwie den Drang" gehabt, dann "wieder lange Zeit" gar nicht, dann habe mal wieder eine Woche dazwischen gelegen. Aber wenn er loszog, dann in der Nacht. Dann stieg er in Wohnhäuser ein, schlich sich in die Kinderzimmer.

Als Betreuer bei Ferienfreizeiten kam er an Adresslisten. Reporter des Magazins "Stern" entdeckten in einem Schachspiel aus seinem Besitz eine Liste von Kindern, die im Sommer 1993 an einer Ferienfreizeit in der Pfalz teilnahmen. Einer der Jungen, dessen Name auf der Liste stand, soll vier Jahre später von N. überfallen und missbraucht worden sein.

Oft spielte ihm der Zufall zu. Immer sei "irgendwas offen" gewesen, sagte er in der Vernehmung. Er habe ganz oft "einfach Glück gehabt", sagte er. Schlüssel hätten im Schloss gesteckt oder unter Fußmatten gelegen. Er habe gestaunt, es selbst gar nicht fassen können, wie einfach es gewesen sei, in fremde Häuser einzudringen. Einmal habe ein Junge sein Fahrrad vor der Tür abgestellt und den Schlüssel hängen lassen, den habe er dann mitgenommen.

Warum er einige Jungen in ihren Betten missbrauchte, andere schlaftrunken aus dem Zimmer trug, konnte er nicht sagen. Er habe "nie irgendwie einen Plan" gehabt.

Intelligent, integriert, beliebt

Vor Gericht steht ein Mann, der den Ermittlern anvertraute, er habe seiner Mutter, die ihn und seine Brüder allein großzog, immer Kummer bereitet. Ein Mann, der exakt in das Raster passt, das die Profiler im Lauf der jahrelangen Fahndung von ihm zeichneten: Einzeltäter, intelligent, sozial integriert, angepasst, im Umgang mit Kindern erfahren. Einer, der alleine lebt und keiner sozialen Kontrolle unterliegt. Einer, den Kinder einfach gern haben und dem man weder Missbrauch noch Mord zutrauen würde - und erst recht nicht, dass er bei jeder Tat ein solch enormes Risiko der Entdeckung auf sich nimmt.

Martin N., 1,96 Meter groß, schlank, geboren und aufgewachsen in Bremen, studierte Mathematik und Physik auf Lehramt, bestand mit Auszeichnung. Sein Studium finanzierte er sich mit Taxifahren. Zwei Kinder tötete er in dieser Zeit unerkannt, sagt er selbst.

1996 bekam er die Pflegschaft für einen Jungen, dessen Mutter alkoholkrank war und dessen Vater wegen Missbrauchs kleiner Mädchen im Gefängnis saß. Martin N. sei für ihn Vaterersatz gewesen, sagt der Junge den Ermittlern. Angefasst habe N. ihn nie.

Das Referendariat brach Martin N. ab, arbeitete in Kindertageseinrichtungen und als Familienbetreuer. Im Internet ersteigerte er Kinderkleidung. Vor elf Jahren zog er nach Hamburg.

Bereits einmal im Visier der Fahnder

2007 geriet der Pädagoge ins Visier der Fahnder - allerdings nur für kurze Zeit. Die Soko Dennis überprüfte 1000 Männer aus der Sexualstraftäterdatei - darunter war Martin N., weil er 1994 und 2004 wegen sexuellen Missbrauchs von Jungen aufgefallen war. Beide Verfahren wurden eingestellt. 2006 fanden Ermittler im Rahmen eines Erpressungsfalls zudem Tausende Bilder von unbekleideten Jungen auf seinem Computer.

In der Vernehmung 2007 ahnte niemand, dass Martin N. - wie er einräumt - bereits drei Jungen getötet, Dutzende missbraucht hat. Über seine sexuellen Präferenzen sagte er damals, er selbst würde sich als bisexuell bezeichnen. Er habe sexuelle Erfahrungen mit Frauen sowie Männern gemacht. Kinder kämen für ihn "überhaupt nicht in Frage". Die Vorwürfe aus der Vergangenheit spielte er runter, sprach von "Grabbelei", mehr sei nicht passiert. Eine Speichelprobe verweigerte er.

Sie habe ihren Sohn gefragt, ob er homosexuell sei, sagte die Mutter nach der Festnahme, weil Martin doch nie eine Freundin gehabt habe. Aber er habe verneint.

Dennis soll freiwillig mitgegangen sein

Norbert Nedopil, Psychiater aus München, hat Martin N. von August an für den bevorstehenden Prozess begutachtet. Seine Expertise fließt in die Bewertung mit ein, ob der 40-Jährige zur Tatzeit vermindert schuldfähig war.

Die Angehörigen der drei ermordeten Jungen treten im Verfahren als Nebenkläger auf, sie wollen Martin N. am Montag gegenübertreten. Ein Geständnis oder das Verlesen der Vernehmungsprotokolle wird ihnen viel abverlangen. Im Fall Dennis R. behauptete Martin N. bei der Befragung, der Achtjährige sei freiwillig mit ihm gegangen.

Für den Vater des Jungen eine unerträgliche Vorstellung, aber keine ausgeschlossene. Dennis fühlte sich nicht wohl in dem Heim, hatte in den Wochen zuvor versucht, auszubüxen, wie der Anwalt des Vaters, Johannes Giebeler, sagt. "Andererseits wäre Dennis mit dem 'schwarzen Mann' garantiert nicht mitgegangen, vielleicht war N. also gar nicht maskiert."

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Dennis habe ihn gefragt, wer er sei. Er habe ihm geantwortet, er komme aus Dänemark, würde ihn mitnehmen. Der Junge habe das "als Abenteuer" empfunden, es "total genossen".

"Scheiße gemacht"

Er habe sich überhaupt keine Gedanken darüber gemacht, was die Entführung für Konsequenzen haben könnte. Wie Touristen seien sie durch die Gegend marschiert, zum Strand gelaufen, hätten Ausflüge gemacht. Seinem Trieb sei er nicht nachgegangen, so wie er es ursprünglich vorgehabt habe. Vielmehr habe er das Gefühl gehabt, für den Jungen "wie sein Papa zu sein". Darum habe er auch mit ihm "diese schönen Sachen" unternommen. Dennis sei "total glücklich" gewesen. Erst Tage später sei er in Panik geraten, weil er Dennis "nicht einfach zurückbringen" konnte.

Über den Mord an Dennis K. sagte Martin N. den Ermittlern unter Tränen, er habe "Scheiße gemacht". Eigentlich sei er "so gar nicht". Eigentlich wolle er immer "das Beste" für andere. Er sei "total hilfsbereit", "kümmere sich um alles", schluchzte er. "Passt gar nicht zu mir." Er tötete - so sagt er - den Jungen und legte ihn in einem Gebüsch ab. Nach der Tat habe er sich vom Fernsehprogramm berieseln lasen. Ihm sei es nicht gut gegangen. Er sei "entsetzt" gewesen über das, was da wieder "passiert" sei.

Noch für andere Morde verantwortlich?

Die Ermittler vermuten, dass Martin N. noch mehr Kinder getötet hat. Martin N. bestreitet das. Er könne "noch hundert andere Morde nennen", es würde an seiner Situation nichts ändern, das wisse er. Aber: "Hab ich nicht gemacht", sagt er. "Es gibt frappierende Ähnlichkeiten zu anderen Fällen", sagt Soko-Sprecher Jürgen Menzel. Konkret schreiben die Ermittler ihm die Morde an Nicky V. in den Niederlanden und an Jonathan C. in einem Feriencamp in Frankreich zu.

Auch Johannes Giebeler, der Anwalt von Dennis R.s Vater, glaubt nicht, dass Martin N. längst "reinen Tisch" gemacht hat. "Wir hoffen, dass er die Fragen, die sein Geständnis aufwirft, endlich beantwortet."

Er habe nach dem Mord an Dennis im Jahr 2001 "nichts mehr in der Art gemacht", sagte Martin N. den Ermittlern. Sein perverses Verlangen habe er mit dem Konsum kinderpornografischer Bilder unterdrückt und sich "geschworen", nicht wieder in ein Landheim oder Zeltlager zu fahren.

Dem ehemaligen Jugendbetreuer droht die Höchststrafe nach deutschem Recht: lebenslange Freiheitsstrafe bei Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und anschließende Sicherungsverwahrung.

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