t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePanorama

Francesco Schettino: Costa-Concordia-Kapitän ohne Kompass


Panorama
Kapitän ohne Kompass

spiegel-online, Von Fabian Reinbold und Annette Langer

Aktualisiert am 19.01.2012Lesedauer: 4 Min.
Gegen den Kapitän der "Costa Concordia" werden schwere Anschuldigungen erhoben (Fotos: Reuters/AP)Vergrößern des BildesGegen den Kapitän der "Costa Concordia" werden schwere Anschuldigungen erhoben (Fotos: Reuters/AP)
Auf Facebook teilenAuf x.com teilenAuf Pinterest teilen
Auf WhatsApp teilen

Es ist das oberste Gesetz in der Schifffahrt: Der Kapitän verlässt als Letzter das sinkende Schiff. Glaubt man den Ermittlern und zahlreichen Aussagen von Passagieren, hat Francesco Schettino das Gegenteil getan. Der Kapitän der "Costa Concordia" soll bereits kurz nach dem Unglück von Bord gegangen sein - als noch Hunderte Passagiere auf dem havarierten Kreuzfahrtschiff gefangen waren.

Staatsanwalt Francesco Verusio, der Schettino festnehmen ließ, sagte: "Der Kommandant hat das Schiff verlassen, als noch viele Passagiere gerettet werden mussten." Es ist nicht der einzige schwere Vorwurf gegen den Kapitän.

Wie konnte es zu dieser Katastrophe kommen? Was ist in Schettino gefahren? Das sind die Fragen, die die Ermittler nun beschäftigen. Fünf Todesopfer hat die Havarie der "Concordia" vor der italienischen Küste bislang gefordert. Noch mindestens 15 Menschen werden vermisst. Die Rettungskräfte suchen weiter fieberhaft im Wrack des Schiffs nach Überlebenden.

Der 52-Jährige Schettino gilt als erfahrener Kapitän und ist laut italienischen Zeitungsberichten Sprössling einer Reeder-Dynastie. Nach dem Unglück tauchte ein privater Schnappschuss auf, der Schettino als stolzen Kapitän auf einer Schiffsbrücke zeigt, seine Faust ist geballt, das Hemd ist etwas aufgeknöpft. Und es gibt ein zweites Foto: Auf dem trägt Schettino eine schwarze Jacke, er wirkt müde und wird von einem Carabiniere abgeführt - der Kapitän ist auf dem Weg in die Untersuchungshaft.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen vorzeitigem Verlassen des Schiffs, fahrlässiger Tötung und Herbeiführung eines Schiffbruchs. Die Vorwürfe, die der Staatsanwalt erhebt, könnten kaum schwerer sein: Schettino sei im Dienst gewesen und habe die Route vorgegeben, auf der sich das Schiff "sehr ungeschickt" der Insel genähert habe und auf einen Felsen gefahren sei, erläuterte Staatsanwalt Verusio. Der Kapitän wurde festgenommen, weil Fluchtgefahr bestehe oder er Beweismaterial manipulieren könnte.

Erst nach einer Stunde Alarm geschlagen

Die Hilfsoperationen seien nicht vom Kapitän koordiniert worden, sagte Verusio und sprach von einem "verwegenen Manöver" des Kapitäns, was überhaupt erst zur Havarie geführt habe. Wollte er womöglich bei den Passagieren Eindruck schinden, indem er möglichst nah an die Küste fuhr?

Der Kapitän habe sich zum Zeitpunkt selbst auf der Kommandobrücke befunden und sei daher verantwortlich für die Navigation, heißt es bei den Ermittlern. Nach dem Notfall am späten Freitagabend habe es Schettino versäumt, rechtzeitig SOS zu funken. Laut Staatsanwaltschaft ist der Alarm bei der Küstenwache erst eine Stunde nach der Kollision eingegangen.

Der Tageszeitung "Il Fatto Quotidiano" zufolge hat der Kapitän das Schiff bereits um 23.30 Uhr am Freitagabend verlassen, rund anderthalb Stunden nach der Kollision. Zu dem Zeitpunkt waren noch etliche Passagiere an Bord - in der Nacht wurden die letzten erst um drei Uhr morgens gerettet.

Staatsanwalt Verusio sagte dem Sender Sky TG24, das Hauptproblem sei, dass das Kommandosystem auf dem Schiff nicht so funktioniert habe, wie es hätte funktionieren sollen. Der Vorwurf richtet sich eindeutig an den Kapitän.

Der Kapitän behauptet, als Letzter gegangen zu sein

Was genau passiert ist, ist allerdings noch unklar. Schettino selbst weist alle Vorwürfe zurück. Als er von Reportern gefragt wurde, wer als letztes das Schiff verlassen habe, sagte der Kapitän: "Wir haben als letzte das Schiff verlassen." Am Sonntag meldete sich sein Anwalt zu Wort. Er betonte, dass Hunderte Personen dem Handeln Schettinos ihr Leben zu verdanken hätten.

Auch Arbeitgeber und Familie verteidigten Schettino. "Der Kommandant der Costa Concordia ist seit elf Jahren bei uns", sagte der Generaldirektor des Schiffseigners Costa Crociere, Gianni Onorato, der Zeitung "Il Mattino" zufolge. Er versuchte, das Verhalten des Kapitäns zu erklären. Schettino sei im Moment der Kollision mit dem Felsen am Steuer gewesen. Nach einer ersten Bewertung der Schäden, habe er beschlossen die Passagiere und die Besatzung in Sicherheit zu bringen und die Evakuierung angeordnet.

"Leider geriet das Schiff zu schnell in Schräglage, deshalb konnte die Evakuierung nicht normal durchgeführt werden", sagte der Generaldirektor. Die örtlichen Behörden, die Küstenwache und die Hafenkommandantur hätten ab diesem Moment die Rettungsmaßnahmen übernommen.

"Il Mattino" berichtete unter Berufung auf die Schwester des Kapitäns, Schettino habe gegen fünf Uhr morgens bei seiner Mutter angerufen und sie darüber informiert, dass "eine Tragödie" geschehen sei. Er habe versucht, die Passagiere zu retten, beteuerte er.

Den ganzen Tag habe das Telefon geklingelt, erzählte die Schwester Giulia. Kollegen und Freunde hätten versucht sie zu beruhigen, ihr versichert, dass Schettino ein umsichtiger Seemann sei, ein großer Kapitän: "Mein Bruder liebt das Meer, er hat immer als Kapitän gearbeitet, er hat viele Jahre Berufserfahrung", so die Schwester. Erst habe Schettino für die Fährreederei Tirrenia gearbeitet, dann für das Tankstellennetz Agip, später für den US-Kreuzfahrtveranstalter Carnival. Schettinos Mutter stammt aus einer alten Reeder-Dynastie, der Familie Cafiero.

"Wir kennen Francescos Ernsthaftigkeit und sein Verantwortungsbewusstsein", betonte Schettinos Schwester Giulia. "Ich versichere Ihnen, dass es keine Leichtfertigkeit war."

Doch an der Ernsthaftigkeit von Schettinos Aussagen gibt es erhebliche Zweifel: Den Helfern und später den Ermittlern sagte er, auf den nautischen Karten sei der Fels, den das Schiff gerammt habe, nicht verzeichnet gewesen. Doch der Felsen '"Le Scole" an der Ostküste ist auf der Insel sehr bekannt.

Ob sich das Bild der Familie oder der Verdacht der Ermittler bestätigen, hängt wohl auch von den Aufzeichnung der Black Box ab. Taucher bargen das Gerät am Sonntag. "In wenigen Tagen", sagte Staatsanwalt Verusio, wisse man ganz genau, welche Manöver der Kapitän vor und nach der Kollision durchgeführt habe.

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website