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Kleine Geschichte der politischen Rhetorik der Bundesrepublik: Rede doch, wer kann


Kleine Geschichte der politischen Rhetorik der Bundesrepublik
Rede doch, wer kann

Ein Kommentar von Jost Kaiser

Aktualisiert am 23.07.2011Lesedauer: 3 Min.
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Große Worte lässt die Kanzlerin vermissen, regiert wird aber trotzdemVergrößern des Bildes
Große Worte lässt die Kanzlerin vermissen, regiert wird aber trotzdem (Quelle: Imago)

Dirk Kurbjuweit hat im "Spiegel" unter dem Titel "Ein unterzuckertes Land" eine Generalabrechnung mit der Rhetorik Angela Merkels geschrieben. Der Chef des Berliner Büros des Nachrichtenmagazins sieht die erklärungs- und sinnsüchtige Republik am langen Arm der Merkel’schen Nicht-Rhetorik bzw. einer blutleeren Abteilungsleiter-Semantik verhungern.

Ob Panzer-Deal mit Saudi-Arabien oder Euro oder Atomwende: gern sähe Kurbjuweit angesichts gewaltiger Zukunftsfragen eine ebenso gewaltige Rhetorik am Werk, vielleicht angesichts der globalen Krisen hier und da sogar eine kleine Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede. Die Sehnsucht passt ganz gut in die Zeit. Die in schöner Regelmäßigkeit aufkommenden Forderungen an den Bundespräsidenten, doch nunmehr endlich die große, sinnstiftende Rede zu halten, sind Ausdruck dieses zeitgenössischen Erbauungsbedürfnisses.

Die Sehnsucht nach Blut, Schweiß und Tränen

All dem verweigert sich Angela Merkel. Und da man, wie wir durch den österreichischen Psychotherapeuten Paul Watzlawick wissen, "nicht nicht kommunizieren" kann, müssen wir Angela Merkels rhetorische Leerstelle wohl oder übel als Botschaft akzeptieren. Sie will nicht, vielleicht nicht nur, weil sie nicht kann.

Politische Rhetorik und die große Sinngebung, das war seit Gründung der zweiten deutschen Republik ein umstrittenes Thema. In der frühen Nachkriegsrepublik war die allzu üppige Groß-Rede nahezu als gefährlich verpönt: Die apokalyptische, letztlich todbringende Operettenrhetorik der Nazis saß der Nachkriegsgeneration noch in den Knochen. Aufgrund dieser Erfahrung wollte man am liebsten überhaupt keine Rhetorik mehr, es herrschte sowieso ein Ultra-Pragmatismus, und der brauchte keine Erklärung. Diese Haltung gipfelte in Adenauers Spruch: "Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?" Dieser Idee scheint auch Angela Merkel anzuhängen, sie erweist sich als echte Nachfolgerin Konrad Adenauers.

Die Zurückhaltung erschien damals angemessen, denn dort, wo Redner eine Schippe drauflegten, ging es prompt daneben. In Erinnerung aus dieser Zeit bleibt zum Beispiel Kurt Schumachers, in seltsam gestrigem Sprechsound vorgetragene, Entgleisung von Adenauer als "Kanzler der Alliierten".

In den folgenden Jahrzehnten zog die politische Rhetorik ihren Saft aus der Polarisierung des Kalten Krieges. In nahezu der gesamten, zu Unrecht als Rhetorikstandard verklärten sprachlichen Auseinandersetzung zwischen Franz Josef Strauß und Herbert Wehner ging es um diese Teilung der Welt in einen demokratischen und kommunistischen Block. Wer diese Zeit heute idealisiert, verkennt die Brutalität dieser Sprechschlacht und die unmusikalische, metallische Härte der beiden Kontrahenten. Besonders Wehner war ein zutiefst verletzter und nahezu verbitterter Mensch. Nein, das will man nicht zurück. Aber was dann?

Von Willy Brandt bleiben eigentlich nur zwei Zitate: die Idee "mehr Demokratie zu wagen" und, aus Brandts zweitem Frühling, "Jetzt wächst zusammen …"

Helmut Schmidt hingegen war ein Falschspieler. Er behauptete in seiner Selbstinszenierung als "erster Angestellter der Republik" nur gegen die große Rede zu sein – um sie dann regelmäßig, ausufernd und unter Herbeizitieren aller Geistesgrößen der letzten zwei Jahrtausende zu halten. Ein gutes Beispiel dafür ist seine Abschiedsrede im Bundestag aus dem Jahre 1986.

Dort reagiert er noch einmal auf Helmut Kohls rhetorische, zum Glück und wie erwartet komplett hohl gebliebene Idee der "geistig-moralischen Wende". Schmidt war der Meinung, die Bundesregierung hätte Besseres zu tun als zu schwafeln, denn das Wichtigste stände eh in einem kleinen Büchlein, dem Grundgesetz: "Im pluralistischen Staat muss, wie mir scheint, die Bundesregierung, jede Bundesregierung, sich in geistiger und moralischer Hinsicht beschränken auf eben dieses Grundgesetz, auf unsere Grundrechte, unsere Grundfreiheiten. Sie allein sind die für alle geltenden gemeinsamen geistig-moralischen Grundlagen."

Von Kohl selbst ist keine einzige politische Redewendung, keine einzige große Rede überliefert, außer negativ Erinnertem, von "Gnade der späten Geburt" (was heute als durchaus treffendes Zitat erscheint) und den gefürchteten "blühenden Landschaften" (auch die hat es dann ja zum Teil gegeben). Ob Angela Merkel eine verspätete Vertreterin der sogenannten "skeptischen Generation" ist, die der großen Rede misstraute? Angela Merkels DDR-Erfahrung, wo der "Erste Sekretär des ZKs der SED und Vorsitzende des Staatsrates der DDR, Genosse Erich Honecker" die rhetorischen Standards setzte, war jedenfalls abschreckend genug, um den großen semantischen Rundumschlag zu vermeiden.

Warum auch nicht – Regieren geht auch ohne Reden: Das ist Merkels Erfahrung. Und ist die große Sehnsucht nach der großen Rede vielleicht nur die berufsbedingte Sehnsucht einer Profession, unter deren Angehörigen man noch weiß, wer Richard von Weizsäcker ist?

Über den Autor:

Jost Kaiser war Blogger bei Vanity Fair und kommentierte dort das politische Geschehen im In- und Ausland. Kaiser ist zudem Autor für die Süddeutsche Zeitung, die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, die Zeit und den Tagesspiegel.

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