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Terrorgruppe NSU: Jagdszenen auf dem Weihnachtsmarkt - Wie Beate Zschäpe zuschlug


Innenpolitik
Jagdszenen auf dem Weihnachtsmarkt

Von Martina Borusewitsch

Aktualisiert am 30.11.2011Lesedauer: 4 Min.
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Der braune Terror aus Thüringen schreckt Politiker und Behörden auf, die Mordserie des jahrelang in Zwickau untergetauchten Neonazi-Trios ist erschütternd. Die thüringische Landtagsabgeordnete Katharina König erzählt im Gespräch mit t-online.de, wie die rechte Szene im Jena der 90er, zu der Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gehörten, Angst und Schrecken verbreitete, wie sie selbst und eine Freundin zusammengeschlagen wurden, welche Ungereimtheiten sich bei dem Fall heute stellen und über ihre Empörung über den Verfassungsschutz.

"In den 90ern herrschte ein wahnsinniges Bedrohungs- und Gewaltszenario, wenn man sich selber eher in der alternativen oder linken Szene verortete", erklärt die 33 Jahre alte König, die für Die Linke im Erfurter Landtag sitzt. Allein aus Sicherheitsgründen waren die Neonazis bekannt – "mit Namen, Gesicht, Autos und Kennzeichen. Deswegen, weil die auf Jagd gegangen sind, um Leute zusammenzuschlagen." Es herrschte eine Grundangst, berichtet König, man musste aufpassen, wer vor oder hinter einem lief, vor allem nachts.

Vor aller Augen zusammengeschlagen

Aber es war helllichter Tag, als Katharina König, Tochter einer Pfarrersfamilie, zusammengeschlagen wird - auf dem Rückweg von einem Fußballspiel. Niemand griff ein. "Die anderen Fußballfans liefen vorbei und guckten zu", erinnert sie sich. Niemand habe das ernst genommen, die Vorfälle seien als "rivalisierende Jugendgruppen" abgetan worden.

In diesem Umfeld seien Mundlos, Zschäpe und Böhnhardt zu verorten - "und zwar in der ersten beziehungsweise zweiten Reihe in Jena", so König. Zu regelrechten Treibjagden kam es jedes Jahr auf dem Jenaer Weihnachtsmarkt - auf dem Zschäpe eine Freundin Königs zusammengeschlagen habe. "Weihnachtsmarkt hieß immer: Alle Nazis aus Jena und den Dörfern ringsum sammeln sich, und im Stadtzentrum ist man nicht mehr sicher." König hielt sich am einzigen halbwegs sicheren Ort, dem Jugendzentrum der evangelischen Kirche (JG, junge Gemeinde) auf. Doch ihre Freundin M. ging auf den Markt. "Wenn man da erkannt wurde, ist man sofort zusammengeschlagen worden. Die haben einen geschnappt, zu viert, zu fünft, und haben auf einen eingeprügelt". Danach sei M. mit gebrochenem Fuß ins JG gehumpelt.

"Zschäpe war die Zuschlagende"

"Zschäpe war die Zuschlagende", berichtet König. Damit war klar, dass die damals 21-Jährige nicht bloß eine "Nazi-Braut" war, Anhängsel eines Neonazis, sondern selbst "politisch entsprechend ideologisiert" war, schlussfolgert König. Radikalisiert wurde Zschäpe wahrscheinlich durch die Freundschaft zu Uwe Mundlos. "Mundlos ist der Kluge gewesen. Abi wollte er machen, danach studieren - sein Vater war Professor", beschreibt König eines der beiden männlichen Mitglieder des Nazi-Trios, die sich am 4. November selbst umgebracht hatten, in einem Wohnmobil. Der andere war Uwe Böhnhardt - "der hatte einen scharfen Blick - der brauchte gar nicht zuschlagen, allein im Gesicht hat man ihm die Aggression angesehen", erinnert sich die Abgeordnete.

Nach den Selbstmorden ihrer Komplizen informierte Beate Zschäpe deren Familien und zündete aller Wahrscheinlichkeit nach die gemeinsame Wohnung in Zwickau an. "Woher erfährt sie, dass die Zwei tot sind? Zündete sie im Anschluss die Wohnung an? Wenn sie sich selber retten wollte, kann es nur einen Grund geben: Beweismittel vernichten", rekonstruiert König. Aber warum stellt sie sich kurz darauf bei der Polizei in Jena, mit - so scheint es - dem erstbesten Anwalt, einem Familienrechtler? "Es müssen noch mehrere Personen im Hintergrund sein", glaubt König und schließt nicht aus, dass Zschäpe vor diesen Personen möglicherweise Angst hat. Zumindest würde dazu passen, dass sie die Kronzeugenregelung für sich beanspruchen will.

Wer mordete? "Zurzeit ist alles möglich"

Beate Zschäpe - die in den 90ern höchstens mal eine Bomberjacke trug, keine typische Neonazi-Frisur hatte, und eher unscheinbar wirkte - "die sah normal aus". Über ihre Rolle bei den mindestens zehn Morden der Gruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" kann derzeit nur gemutmaßt werden. Bislang schweigt sie, zumindest dringen kaum Informationen an die Öffentlichkeit. Hielt sie sich im Hintergrund, oder war sie aktiv an den Morden beteiligt? "Zurzeit ist doch alles möglich", sagt König. Es sei ein großer Unterschied, ob jemand eine andere Person schlage oder kaltblütig ermorde - "und ich will nicht sagen, wer der kaltblütige Mörder ist". Gerüchte, Zschäpe hätte sowohl mit Mundlos als auch mit Böhnhardt Beziehungen geführt, kann König nicht bestätigen.

Scharfer Vorwurf gegen die Behörden

Scharf kritisiert Katharina König den Thüringer Verfassungsschutz und die Polizei, die das Nazi-Trio 1998 trotz eindeutiger Hinweise nicht fassten. Damals gab es von dem Vorsitzenden des Thüringer Heimatschutzes Tino Brandt, der als V-Mann arbeitete, einen Hinweis auf Zschäpe, Mundlos und Bönhardt, die mit Sprengstoff experimentierten. "Am 26. Januar ist die Razzia", so König, bei der die Polizei Rohrbomben und 1,4 Kilogramm TNT fand, "aber erst am 20. Februar startet die große internationale Fahndung mit Bildern in der Zeitung". Da war das Trio längst abgetaucht. Brandt sagte mittlerweile, dass es Solidaritäts-Konzerte für Zschäpe, Mundlos und Bönhardt gegeben habe, Tausende Mark seien gesammelt worden - "das müssten die Behörden gewusst haben". "Ich glaube, die haben das nicht nur maßlos unterschätzt - das sind mindestens Versäumnisse, wenn nicht sogar bewusstes Fehlhandeln", wettert König.

Katharina König, 1978 in Jena geboren, ist seit 2009 Thüringer Landtagsabgeordnete für die Partei Die Linke. Die Diplom-Sozialarbeiterin engagiert sich seit 1999 im Aktionsbündnis gegen Rechts in Jena. In einer Rede im Thüringer Landtag legte sich König mit ihrer eigenen Partei an, als sie darlegte, warum sie die DDR als einen Unrechtsstaat sieht. Wegen dieser Position forderten Altmitglieder die Rückgabe ihres Mandats, doch die Mehrheit des Kreisverbandes und Fraktionsvorsitzender Bodo Ramelow stellten sich hinter sie.

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