t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



Menü Icon
t-online - Nachrichten für Deutschland
HomePolitik

Hochschule im Wettbewerb: Wer hat, dem wird gegeben


Hochschule im Wettbewerb
Bologna, Geld und das Bulimielernen

Ein Kommentar von Erik Marquardt

13.10.2012Lesedauer: 4 Min.
Nachrichten
Wir sind t-online

Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Studenten in der Vorlesung: Leere Ränge wie hier gibt es immer seltenerVergrößern des Bildes
Studenten in der Vorlesung: Leere Ränge wie hier gibt es immer seltener (Quelle: Foto: Christian Lendl)

Viel Kritik wurde in den vergangenen Jahren an der Bologna-Reform geübt. Zu verschult, zu wenig Geld, zu viele Studienabbrüche, Studienplatzmangel, Bulimielernen, Schmalspurstudium, Wirtschaftsfixierung an allem ist Bologna schuld. An allem ist Bologna schuld?

Tatsächlich verstecken die Länder, der Bund und vor allem die Hochschulen ihre eigenen Fehler und mangelnden Reformwillen hinter dem italienischen Ort und üben sich in kollektiver Verantwortungslosigkeit. Der Raum für kritisch-reflexive Wissenschaft, für persönliche und geistige Entwicklung gerät dadurch in Gefahr.

Alles soll besser werden, aber bitte umsonst

Alles fing damit an, dass die Kultusministerkonferenz um die Jahrtausendwende erklärte, dass die größte Hochschulreform seit Humboldt kostenneutral umgesetzt werden könne. Alles soll besser werden, aber bitte umsonst. Seitdem verharrt die Zahl der Professorinnen und Professoren auf gleichem Niveau. Die Zahl der Studierenden ist um 600.000 gestiegen.

Die Hochschulen mussten also „effizienter“ werden. Doch bereits vor über 20 Jahren begann die Politik durch verschiedene „Anreizsysteme“, eine neue Steuerungsphilosophie einzuführen. Der Wettbewerb um Mittel sollte dazu führen, dass sich endlich mal alle anstrengen. Für die Budgetaufwüchse der Hochschulen sind seitdem fast ausschließlich externe Drittmittel verantwortlich. Seit 1995 haben sich diese mehr als verdoppelt. Die Wettbewerbsideologie hat auch inhaltliche Konsequenzen. Geförderte Forschung muss angestrebte Ergebnisse liefern. Je schneller, desto besser. Das forciert zwangsläufig Kurzfristigkeit. Kurzfristige Fragestellungen, kurze Projektlaufzeiten und kurze Beschäftigungsverhältnisse.

Gute Lehre bleibt exklusiv

Moderne Professorinnen und Professoren sind längst zu Managern geworden. Sie müssen Personal verwalten, Anträge schreiben, Rankings entsprechen und Drittmittelgebern schnell lieferbare Ergebnisse versprechen. Die tatsächliche Forschung tritt dabei oft in den Hintergrund und in Vorlesungen sieht man Prof. Kaufmann und -frau nur noch selten. Dass dieses System einen gerechten Wettbewerb zur Folge hat, ist weitestgehend widerlegt. Denn in der Wissenschaft gilt das Matthäus-Prinzip: wer hat, dem wird gegeben. Und so profitieren hauptsächlich die ohnehin Erfolgreichen, denn nur wer oft zitiert wird und viele Drittmittel bekommt, wird oft zitiert werden und viele Drittmittel bekommen. Die Folge ist die fortwährende Spaltung der Wissenschaftslandschaft in exzellente Leuchttürme und Hochschulen zur Massenbildung. Gute Lehre und Forschung bleiben damit exklusiv.

Natürlich wird das niemand offen sagen. Im täglichen Wettstreit sind alle Hochschulen „exzellent“, „international erfolgreich“ und „Einrichtungen der Spitzenforschung“. Keine Hochschule sagt offen, dass ihr Geld fehlt, dass sie kaputtgespart wird. Wettbewerbsfähig ist man eben nur, wenn man erfolgreich wirkt. Die konformen Freigeister schaufeln sich damit ihr eigenes Grab.

Abschlüsse werden vererbt

Der Sparzwang wirkt auch auf die Bologna-Reform, denn sie wurde missbraucht, um den Aufwuchs der Studierendenzahlen durch zwanghafte Studienzeitverkürzung zu kompensieren. Über zwölf Semester haben die Studierenden im Durchschnitt für den Diplomabschluss benötigt. Viel zu lange, befand die Kultusministerkonferenz und proklamierte den Bachelorabschluss als Regelabschluss nach zumeist sechs Semestern.

Danach soll für die Mehrheit der Studierenden Schluss sein. Diese Entwicklung entsprach wohlgemerkt einer angestrebten Halbierung der Studienzeit für die Mehrzahl der Studierenden. Das bedeutet weniger Freiraum für den Blick über den Tellerrand, die Persönlichkeitsbildung, den Nebenjob etc. Dabei ist die soziale Dimension ein Kern von Bologna.

Doch die Bildungsabschlüsse in der Bildungsrepublik werden weitestgehend vererbt. Kinder beginnen sechsmal öfter ein Studium, wenn die Eltern einen Hochschul- statt einem Hauptschulabschluss haben. Daran muss sich etwas ändern, so die einmütige Meinung von Politik und Interessenvertretungen. Doch es ändert sich nichts. Zu tief ist der elitäre Anspruch von Hochschulbildung im Bewusstsein verankert und zu unreflektiert beharrt man auf den verkrusteten Strukturen. Das ist auch das Problem der Bologna-Reform.

Zu misstrauisch, zu arrogant

Die Politik war zu naiv, um zu verstehen, dass eine Hochschulreform das Verständnis der Hochschullehrenden erfordert, die wiederum waren zu misstrauisch und arrogant, als dass sie den Reformbedarf erkannten. In diesem Spannungsverhältnis befinden wir uns nun schon jahrelang.

Vielleicht bestätigt sich die Verelendungstheorie, vielleicht muss „der Karren erst mal richtig an die Wand gefahren werden“, bevor sich etwas ändert, bevor der reflexartige Wettlauf von sabbernden hungrigen Instituten um das größte Stück vom Kuchen wieder durch Verantwortungsbewusstsein abgelöst wird. Vielleicht sollten wir nicht mehr anmerken, dass man in kleinteiligen Prüfungen die Zusammenhänge aus dem Blick verliert, dass Anwesenheitspflichten Unsinn und Zugangshürden ungerecht sind.

Vielleicht sollten wir keinen Freiraum für Goethe, Schiller und Romantik mehr im Wirtschaftsstudium fordern. Vielleicht sollten wir aufmüpfigen Studierenden das Studium endlich als Industriepraktikum begreifen und danach mal schauen. Wir könnten verantwortungslos alles aufsaugen, nicht reflektieren, Augen zu und durch. Denn Goethe ist tot, die Romantik vorbei und die gesellschaftliche Aufgabe der Hochschulen bestimmt überbewertet. Die Gesellschaft in 20 Jahren wird uns das nicht danken, die wird leiden. Aber in 100 Jahren könnte alles wieder gut sein. Dann könnten wir vielleicht über eine qualitative Studienreform nachdenken.

Erik Marquardt ist Chemie-Student an der TU Berlin ist Mitglied des Vorstands des Freien Zusammenschlusses von Studentinnenschaften (fzs). Der fzs hat rund 80 Mitgliedshochschulen und vertritt etwa eine Million Studierende. Marquardt ist Mitglied der nationalen Bologna AG, die den Bologna-Prozess in Deutschland als beratendes Gremium begleitet.

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website