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Forscher knacken jahrhundertealten Geheimcode


Forscher knacken jahrhundertealten Geheimcode

Von Nina Weber

Aktualisiert am 28.10.2011Lesedauer: 4 Min.
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Textseite aus dem geheimnisvollen "Codex Copiale"Vergrößern des Bildes
Textseite aus dem geheimnisvollen "Codex Copiale" (Quelle: Uppsala University)

105 eng beschriebene Seiten, keine Abstände zwischen einzelnen Wörtern: Kryptographie-Experten haben einen komplizierten Code aus dem 18. Jahrhundert entschlüsselt. Das Dokument entpuppt sich als deutscher Text - der die Aufnahmezeremonie in eine mysteriöse Geheimgesellschaft beschreibt.

Außenseiter sollten diesen Text nicht lesen können, das wird schon beim ersten Blick offensichtlich: Lateinische und griechische Lettern, mal mit Akzenten versehen, mal ohne, dazwischen verschiedene Phantasiesymbole. Keine Leerzeichen, die verraten, wo ein Wort endet und ein neues beginnt. Ganz klar, den in prächtiges gold-grünes Brokatpapier gebundenen "Codex Copiale" sollten nur Eingeweihte verstehen. Nur zwei Hinweise lassen sich einfach lesen "Philipp 1866" - ein Hinweis, den vermutlich ein Besitzer des Buches geschrieben hat sowie der Eintrag "Copiale 3" auf der letzten Seite. Entstanden ist das Manuskript wohl zwischen 1760 und 1780, lange Zeit befand sich das Buch in Berlin.

Aufnahmeritual in Geheimgesellschaft

Einem internationalen Forscherteam ist es jetzt mit einigem Aufwand gelungen, das 75.000 Zeichen umfassende Dokument zu entschlüsseln. Dabei machten Kevin Knight von der USC Viterbi School of Engineering in Kalifornien und seine schwedischen Kolleginnen Beáta Megyesi und Christiane Schäfer von der Universität Uppsala eine erstaunliche Entdeckung: Es handelt sich um einen deutschen Text. Darin wird das Aufnahmeritual in eine Geheimgesellschaft beschrieben, die Art der Zeremonie zeigt eine Verbindung zur Augenheilkunde.

"Geschichtsforscher vermuten, dass Geheimgesellschaften eine Rolle bei Revolutionen spielten, aber das muss alles noch nachgewiesen werden - und viele Dokumente sind verschlüsselt", sagt Kevin Knight.

Forscher brauchten Intuition und Computer

Um das Rätsel des Textes zu lösen, mussten die Forscher ihn erst einmal in eine Form transkribieren, mit der ein Computer etwas anfangen konnte. Dafür ersetzten sie die im Manuskript genutzten Symbole durch zwei oder drei Buchstaben lange Folgen. Anschließend analysierten sie unter anderem, welche Lettern häufiger auftraten oder oft nebeneinander standen.

Für die Kryptografie-Experten stellte sich bei der Decodierung ein besonderes Problem: Sie wussten nicht, in welcher Sprache der Text verfasst ist. Zwar nahmen sie an, es könne sich um Deutsch handeln - sicher waren sie sich aber nicht.

"Wenn du einen neuen Code vor dir hast, sind die Möglichkeiten fast unbegrenzt", sagt Knight. Sobald man eine Hypothese habe, die meist auch auf menschlicher Intuition beruhe, könne man einen großen Teil der Routinearbeit auf den Computer übertragen.

Sehr kniffelige Verschlüsselung

Doch auf diese Weise schlug das Team erst einmal einen falschen Weg ein: Die Wissenschaftler vermuteten, dass nur die römischen und griechischen Buchstaben den Text ausmachten. Deshalb isolierten sie diese von den Phantasiesymbolen und versuchten dann, den Code zu knacken. Dabei versuchten sie es erst einmal mit Deutsch, dann mit Latein, danach mit 40 anderen Sprachen. "Das hat eine ganze Menge Zeit gekostet und war ein totaler Reinfall", sagt Knight.

Denn am Ende stellten sie fest: Es verhält sich genau anders herum - die einfachen römischen Lettern haben überhaupt keine Bedeutung und dienen wohl als Ablenkung. Die geheime Botschaft steckt dagegen in den abstrakten Symbolen.

Eine erneute Analyse, welche Symbole häufiger auftraten und öfter nebeneinander lagen, deutete schließlich auf einen Text in deutscher Sprache. Simpel war die Lösung nicht: So verwendeten die Autoren des Textes nicht etwa je ein Symbol für einen Buchstaben. Vielmehr stellten sie einige Buchstaben wie etwa das "e" durch verschiedene Symbole dar. Und einige Symbole stehen wiederum für ganze Buchstabenfolgen wie "sch", "st" und "ch" - und auch die Umlaute "ä", "ö" und "ü" haben ein eigenes Symbol.

Sehr merkwürdige Prozedur

Die Lösung, welche die Wissenschaftler nun auf einer Tagung der Association for Computational Linguistics präsentierten, enthüllte den Text einer Geheimgesellschaft. Beschrieben wird eine Aufnahmezeremonie - wobei einiges unklar bleibt, denn Namen und einige Funktionstitel in der Gesellschaft sind mit eigenen Symbolen verschlüsselt.

Bei dem Ritual muss der Neuanwärter unter anderem einen Text von einem unbeschriebenen Blatt Papier vorlesen. Antwortet er, dass er darauf nichts sieht, wird ihm eine Brille aufgesetzt und seine Augen werden ausgewaschen. Kann er immer noch nichts erkennen, so soll er sich einer Operation unterziehen - dem Neuling wird dann ein Haar aus den Augenbrauen gezupft. Anschließend muss der Anwärter Stilschweigen geloben, in dem dechiffrierten Text liest sich das so: "Ich n...n ... verspreche so gewiss als mir meine "ehre lieb ist dass ich von alleN heimlichkeiteN" dieser *o* und vonalleN was ich geseheN gehöret "und gefühlet niemals wem es auch sey und" auf was für art es auch gescheheN könne etwas "anders bekannt macheN will."

An anderer Stelle wird unter dem Punkt "Kennzeichen eines Gesellen" beschrieben, wie genau die Zeremonie abläuft und welche Voraussetzungen der Anwärter erfüllen muss: "Erstlich einer berühret mit der rechteN hand sein rechtes auge. ich bestreiche mit der rechteN hand die rechte seite des halses berühret aber der frageNde mit der rechteN hand das lincke auge so bestreiche ich auch mit der rechteN hand die lincke seite des halses."

Keiner solle als Geselle anerkannt werden, heißt es in dem Text, bevor er "nicht die lehrlingsfrageN gehörig beantwortet und keiner als geselle erkannt werdeN soll bevor er nicht auch in alleN geselleNzeicheN geschickt erfundeNwordeN und die gantze ceremonie der aufnahme erzehlet hat".

Nächste Herausforderung Krypto-Rätsel

Knight und seine Kolleginnen vermuten, dass in dem Text noch weitere verschlüsselte Informationen enthalten sein könnten. Mit ihrer Methode wollen die Forscher bald auch andere bekannte Geheimcodes angehen, darunter das Kryptos-Rätsel, sagt Kevin Knight. Die mit einem extrem komplexen Code versehene Skulptur steht seit mehr als 20 Jahren auf dem Gelände des US-Geheimdienstes CIA in Langley, Virginia. Drei Teile des Rätsels haben Kryptografie-Experten inzwischen gelöst, doch am letzten Teil sind bisher sämtliche CIA-Spezialisten gescheitert.

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