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Deutschlands Rolle in Europa: Der deutsche Sündenbock


Deutschlands Rolle in Europa
Der deutsche Sündenbock

Ein Kommentar von Sebastian Pfeffer

09.08.2012Lesedauer: 4 Min.
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Warum wird Deutschland in Europa zum Sündenbock?Vergrößern des Bildes
Warum wird Deutschland in Europa zum Sündenbock? (Quelle: Hartwig HKD)

Die Deutschen sehen sich in Europa gerne als Retter in der Not. "Wir sind die Guten". Doch je stärker Deutschland wird und je mehr Verantwortung es übernimmt, desto heftiger wird der Gegenwind.

Das Land steckt in einem Dilemma: Es muss zu Opfern bereit sein, ohne dafür auf Zuneigung hoffen zu können. Ganz im Gegenteil sogar; Deutschland wird Europas Sündenbock.

Im Spätherbst 2011 sagte Polens Außenminister Radoslaw Sikorski einen für polnische Außenminister ziemlich ungewöhnlichen Satz: "Ich habe weniger Angst vor deutscher Macht, als ich anfange, mich vor deutscher Inaktivität zu fürchten."

Im Sommer 2012 sagt der deutsche Altkanzler Helmut Schmidt: "Der Mord an sechs Millionen Juden ist im Unterbewusstsein der europäischen Völker ein so schweres Gewicht, dass es eine Führung durch die Deutschen ausschließt." Beide Männer wissen, was Sie sagen. Und doch widersprechen sie sich. Wie bringen wir ihre Sichtweisen zusammen?

Europa gerät aus der Balance

Wenn der Realist auf die Welt blickt, dann sucht er nach Balance. Er tut das nicht, weil er harmoniesüchtig wäre. Er tut das, weil er glaubt, dass immer dann Ärger droht, wenn Kräfteverhältnisse zwischen Staaten nicht sehr fein austariert sind. Wer sich dabei an die Logik des Kalten Krieges erinnert fühlt, liegt ganz richtig. Und die Frage, wie wichtig welche Form von Balance wirklich ist, ist durchaus diskutabel. Trotzdem steht mit einiger Sicherheit fest: Wenn sich Kräfteverhältnisse in einer Region spürbar ändern, warten die Folgen nicht.

In Europa haben sich die Kräfteverhältnisse in den letzten Krisenjahren verschoben und sie verschieben sich noch. Europa gerät aus der Balance. Auf den ersten Blick sind wir Deutschen dabei in einer recht komfortablen Situation: Weil wir deutlich weniger von der Krise betroffen sind als unsere Nachbarn, steigen relativ gesehen unsere Wirtschaftskraft, Wohlstand und Macht.

Sikorskis Forderung macht deshalb durchaus Sinn. Der stärkste in der Gruppe muss den Laden schmeißen, Deutschland soll in die Bresche springen. Was Schmidt anmahnt, ist, dass Deutschland das nicht kann, weil seine europäischen Nachbarn das im Grunde gar nicht wollen.

Die Aussagen beider Staatsmänner offenbaren ein Dilemma. Vor allem die Länder des europäischen Südens - Spanien, Italien und Griechenland - sind in der Krise zu harten Einschnitten gezwungen. Die Macht der Deutschen nimmt zu, die der anderen ab. Das ruft in den Hauptstädten durchaus Besorgnis hervor.

Die eigentliche Gefahr liegt aber im Spielen der innenpolitischen Karte. Es ist ein beliebtes Spiel, bei dem früher lange die EU verlor: Alles Gute wurde von den Staatenlenkern (auch den deutschen) auf die eigene Habenseite verbucht. Für alles Schlechte wurde die EU verantwortlich gemacht.

Heute droht Deutschland diese Rolle einzunehmen. Wer vom Gipfel nach Hause kommt, überreicht das Zuckerbrot höchstpersönlich und tut so, als könne er gegen die deutschen Peitschenschwinger nichts tun.

Ein Exempel an Deutschland

Im aktuellen "Spiegel" erzählt Italiens Ministerpräsident Mario Monti von "wachsenden Ressentiments" in seinem Heimatland. Gegen den Euro, gegen die Deutschen, gegen die Kanzlerin. Merkel muss ein besonders dickes Fell haben. Gerade wurde sie mal wieder mit Hitler verglichen, diesmal von der italienischen Zeitung "Il Giornale". Es gibt derartige Beispiele aus vielen anderen Ländern zur Genüge und man muss sie nicht alle erwähnen.

Die Populisten scharren überall mit den Füßen. Je länger die Krise dauert, je größer das Ungleichgewicht zwischen Deutschland und seinen Nachbarn wird, desto leichter können Vorurteile und Neid geschürt werden, desto leichter wird ein Sündenbock gemacht.

Durchaus auch in Deutschland. Die unsägliche Forderung von Bayerns Finanzminister Markus Söder mag man kaum wiederholen. "Ein Exempel" will er an Griechenland statuieren. Wie genau verrät er nicht, aber aus seiner Wortwahl spricht ein mindestens rudimentär ausgeprägtes Verständnis deutscher Geschichte und Demokratie.

Hoffentlich hat Söder dem Altkanzler zugehört. Mit dem Hinweis, wie wichtig die Geschichte bei all dem ist, hat Schmidt selbstredend recht - ob es uns passt oder nicht, Deutschland trägt diese Mal. Schmidt hat auch bekundet, dass Merkel für all das nicht den richtigen Sensor hat.

Fest steht, die guten Noten, die ihre Bürger vergeben, bekommt sie im Ausland nicht. Und sie hat Fehler gemacht. Der hierzulande viel zu wenig als solcher beachtete, war ihre offene Unterstützung für Sarkozy. Auch hier hätte Geschichtsbewusstsein geholfen, denn so etwas gab es in der deutsch-französischen Historie noch nie.

Bestenfalls ein ungeliebter Retter

Die Folge ist, dass Merkel heute ungewollt allein an der Spitze Europas thront. Zumindest ist die Wahrnehmung so. Mit Sarkozy, den sie im Amt halten wollte, gelangen ihr jene verständnisvollen Posen der Einigkeit noch, die mit Hollande - oder gar Monti - nicht klappen mögen. Aus "Merkozy" wurde Merkel. Ihre, auch innenpolitisch motivierte, harte Haltung ("solange ich lebe") trägt dazu ihren Teil bei.

Inzwischen ist Deutschland deshalb auf europäischer Bühne immer öfter alleine. Die anderen stehen gewissermaßen drum herum und zeigen mit dem Finger drauf. Aus dieser Position wird sich Deutschland so schnell nicht mehr befreien.

Das ist das Dilemma: Denn wenn Deutschland Opfer bringt und hilft, schreiben sich das andere als ihren Erfolg auf die Fahnen. Und wenn es Grenzen zieht und führt, sehen die Populisten und Hetzer ihre Stunde gekommen.

Angesichts dieser Situation wird Deutschland zu allererst selbst der Versuchung widerstehen müssen, seinerseits in Ressentiments zu verfallen. Besser, wir lassen uns auch ein dickes Fell wachsen und hören bei Söder und Konsorten einfach weg. Denn etwas Besseres, als dass Deutschland zum ungeliebten (vielleicht sogar: gehassten) Retter Europas wird, können weder wir noch unsere Nachbarn von der Zukunft erhoffen.

Sebastian Pfeffer ist als Parlamentarischer Korrespondent von "The European" für die Innenpolitik zuständig. Der gebürtige Frankfurter arbeitete zuvor mehrere Jahre lang als freier Journalist und hat unter anderem in der "Rhein-Zeitung", der "Berliner Morgenpost", in "Die Welt" und auf "Welt Online" veröffentlicht. Pfeffer war für das "ZDF" in Mainz tätig und hat bei "Bild am Sonntag" und "Die Welt" in Berlin hospitiert. Er studierte Politik und Publizistik an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz und an der University of Essex (England).

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