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Baden-Württemberg: Erster schwarzer Bürgermeister Deutschlands


Wie Kommissar Ehret Geschichte schreibt

spiegel-online, Von Jan Söfjer, Spiegel-Online

Aktualisiert am 01.06.2012Lesedauer: 4 Min.
Bürgermeister John Ehret (parteilos) in Mauer vor dem RathausVergrößern des BildesBürgermeister John Ehret (parteilos) in Mauer vor dem Rathaus (Quelle: dpa-bilder)
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Ein Ort bei Heidelberg hat den ersten schwarzen Bürgermeister Deutschlands gewählt. John Ehret war schon als Kind ein Star in der Gemeinde Mauer, arbeitete später beim BKA. Seine Hautfarbe war nie ein Problem, sagt er. Heute tritt der 40-Jährige sein Amt an.

John Ehret hat kaum Wahlkampf gemacht. Er hat keine Plakate aufgehängt, keine Hochglanz-Broschüren in die Briefkästen geworfen, keine Klinken geputzt und erst als letzter von fünf Bewerbern seine Kandidatur bekannt gegeben. Trotzdem holte er in der Stichwahl 58,1 der Stimmen. Das früher so konservative Baden-Württemberg hat nun nicht nur einen grünen Ministerpräsidenten, sondern auch einen schwarzen Bürgermeister - den ersten der Republik. Diesen Freitag tritt er in der 4000-Seelen-Gemeinde Mauer bei Heidelberg seinen Dienst an.

John Ehret ist einerseits ein "Bub aus Mauer", wie kein Zweiter. Und doch ist der 40-Jährige auch ganz anders. Sein leiblicher Vater war als US-Soldat in Karlsruhe stationiert, ein Schwarzer. Mehr weiß Ehret über ihn nicht. Seine Mutter war gebürtige Deutsche. Sie erkrankte an einem Hirntumor, wie man ihm später sagte, und gab ihren Sohn mit zwei Jahren in ein Heim.

John Ehret hatte keine guten Startchancen im Leben. Dass er sie doch bekam, verdankt er der Familie Ehret aus Mauer, die ihn mit sechs Jahren adoptierte und ihm ein bürgerliches Zuhause gab. Der kleine John war der Star im Ort, der einzige Schwarze. Im Fußballverein nannten sie ihn Pelé. Sein neuer Vater war als Gemeinderat der SPD ein angesehener Mann in Mauer - einem Ort, der keine nennenswerten sozialen Probleme kannte.

Nie, so sagt John Ehret, hatte er Probleme wegen seiner Hautfarbe, oft wurde sie nicht einmal richtig bemerkt.

Kommissar Ehret im Auslandseinsatz

Beim Bundeskriminalamt, bei dem er eine Ausbildung zum Kommissar und Diplom-Verwaltungswirt machte, schickten ihn seine Vorgesetzten einmal sogar als Beobachter zu einem Neonazi-Konzert und bedachten offenbar nicht, dass seine Hautfarbe ein Problem sein könnte. Fast 20 Jahre war er beim BKA (als erster Schwarzer natürlich), zuletzt in der Abteilung für politisch motivierte Ausländerkriminalität.

Mehrmals war er in Auslandseinsätzen: im Auftrag der Vereinten Nationen als Ermittler von Anschlägen im Libanon, als Mentor in Sarajevo für den Aufbau der Finanzermittlungsbehörde und als Berater für den Neuaufbau der Polizei in Afghanistan. Von BKA-Chef Ziercke erhielt er dafür die Afghanistan-Spange.

John Ehret ist ein Mann, der viel gesehen hat. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb war er seinem Heimatörtchen immer sehr verbunden. "Als ich sah, dass ein neuer Bürgermeister gesucht wurde, weil der alte ein Amt in einer Nachbarstadt annahm, zögerte ich nicht lange." Doch Ehret "wollte sich nicht aufdrängen", wie er sagt. Er ließ nur Flyer drucken und ging zur Kandidatenvorstellung in die örtliche Turnhalle.

Der Obama-Effekt

Doch er euphorisierte die Menschen. Zum einen natürlich mit seiner bemerkenswert charmanten Lockerheit. Seinem Stichwahl-Konkurrent Hagen Zuber, Rechnungsamtsleiter im Rathaus von Mauer, wurde schnell klar, dass Ehret die Stimmen zufliegen. Der 35-Jährige hörte bei seinen Hausbesuchen von etlichen Wählern: "Sie sind sympathisch, aber John Ehret ist sympathischer." Da halfen auch die Hochglanz-Broschüren nichts, die Zuber verteilte. Ein Einwohner schrieb in einem Online-Kommentar der "Rhein-Neckar-Zeitung": "Herr Ehret überzeugt einfach mit allem, was er hat, wie z. B. Bürgernähe, Sympathie, Kompetenz, Freundlichkeit."

Zum anderen war da noch der Obama-Effekt. "Eigentlich wollte ich nie meine Hautfarbe in den Vordergrund stellen", wie er sagt. Doch er konnte sich dann doch nicht verkneifen "Yes, we can" auf seine Facebook-Seite zu schreiben. "Wir wählen Obama", sollen die Kinder in den Schulen gesagt haben. Und auch den Älteren muss es irgendwie gefallen haben. Obama - Ehret, Amerika - Mauer. Ein kleines bisschen Geschichte schreiben.

Sie kennen sich ja damit aus. 1907 wurde der Ort berühmt, weil man den ältesten Knochenfund der Gattung Homo (heidelbergensis) in Deutschland fand: den "Unterkiefer von Mauer", geschätzt 600.000 Jahre alt.

Plötzlich ein Vorbild

Ehret sagt, mit dem Obama-Slogan habe er nur ausdrücken wollen, dass er gemeinsam mit den Bürgern die politische Zukunft gestalten wolle. "Mir war vorher nicht bewusst, dass ich der erste schwarze Bürgermeister Deutschlands würde."

Doch in den Zeitungsarchiven lässt sich kein anderer finden, nur der dunkelhäutige Ravindra Gujjula, ein Inder, der 1993 Bürgermeister in Brandenburg wurde. "Es gab vor Ehret keinen schwarzen Bürgermeister in Deutschland", sagt Tahir Della, Vorsitzender der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD).

Am Wahlabend des 6. Mai versammelten sich 400 Menschen vor dem Rathaus in Mauer. Um 18.45 Uhr nahm der Gemeinderat und stellvertretende Bürgermeister Joachim Frühauf das Mikrofon in die Hand, verkündete erst das Wahlergebnis und dann den Sieger. Beifall, Jubel, Freudentränen. Ehret umarmte seine Frau. "Egal ob ihr mich beim Bäcker, beim Einkaufen oder beim Spazierengehen trefft, bitte erzählt mir, wo der Schuh drückt", sagte Ehret auf der Bühne. Doch zunächst will er in seine Aufgaben hineinwachsen.

Und dann ist da auch noch die andere Sache. Plötzlich ist er, der nie gegen Diskriminierung kämpfen musste, ein Vorbild für schwarze Menschen in Deutschland, jemand, der zeigt, was möglich, ja normal geworden ist im Land. Vorkämpfer für die Sache der Schwarzen in Deutschland möchte er dann aber doch nicht sein, sagt er. "Dafür fühle ich mich zu deutsch."

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