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Absatz-Schwierigkeiten - eine Frage der High Heels


Kommentar
Absatz-Schwierigkeiten

Ein Kommentar von Jörg Friedrich

04.02.2013Lesedauer: 4 Min.
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Hochhackige Schuhe: Unterdrückung oder Emanzipation?Vergrößern des Bildes
Hochhackige Schuhe: Unterdrückung oder Emanzipation? (Quelle: dpa-bilder)

Kaum ein Kleidungsstück der europäischen Tradition ist so umstritten, ja umkämpft, wie der Absatzschuh. Ist er nun ein Symbol der Unterdrückung? Oder doch eher ein Zeichen für Emanzipation?

Kritiker sehen in den High Heels deshalb das Symbol der Sexualisierung der Frau, weil Männer Frauen so darauf reduzieren, ein Sexobjekt zu sein. Männer würden Frauen letztlich auf den unbequemen hohen Schuh zwingen, um sich an den dann besser sichtbaren oder verstärkten weiblichen Reizen, den langen Beinen und den wiegenden Hüften, ergötzen zu können.

Der Absatzschuh - so kann man, diesem Argument folgend, kritisieren - trägt dazu bei, sexuelle Reize zu betonen und damit andere Attribute der Trägerin in den Hintergrund treten zu lassen. Möglicherweise ist ein Mann, der auf eine Frau mit Absatzschuhen trifft, nicht mehr in gleichem Maße in der Lage, etwa der Rede der Frau zu folgen, wie er es wäre, wenn die Frau neutral gekleidet wäre.

In einer Arbeitssituation beispielsweise wird die Frau somit nicht vorrangig als Kollegin, sondern als Objekt sexueller Begierde wahrgenommen. Welche Konsequenzen das auch immer hat, ob es also der Frau im konkreten Moment nützt oder schadet, kann dahingestellt bleiben. Weil in beiden Fällen ein Element in die Situation kommt, das nicht zur Rolle der Handelnden passt.

Auf Augenhöhe

Eine andere, die gegenläufige Argumentation sagt, dass der Absatzschuh vielleicht nicht unbedingt ein Symbol, aber jedenfalls ein Werkzeug von emanzipierten Frauen ist. Zum einen bringt der hohe Schuh die Durchschnittsfrau dem Durchschnittsmann auf Augenhöhe. Zum anderen gibt er der geübten und selbstbewussten Frau buchstäblich ein Auftreten, das ein Mann nicht beherrscht und nicht nachahmen kann. Die beruflich erfolgreiche Frau trägt Absatzschuhe zum Hosenanzug oder zum kurzen Rock und hat trotzdem oder gerade deshalb eine distanzierte Ausstrahlung. Ihr Schritt ist fest und nicht zu überhören.

Der Absatzschuh ist in dieser Argumentation schlicht ein Symbol und Werkzeug der Dominanz. Und er ist dies umso wirkungsvoller, da die einschlägigen Dominanz-Accessoires der männlichen Kollegen, wie teure Krawatten oder Boss-Anzüge, durch inflationären Gebrauch längst ihre Funktion eingebüßt haben.

Die Vergangenheit des Schuhwerks als Werkzeug der Sexualisierung der Frau interessiert die Vertreter dieser Argumentation wenig. Sie verweisen darauf, dass sich Bedeutungen und Funktionen von Kleidungsstücken im Laufe der Zeit schließlich verändern können und dass Bekleidungsvorschriften und -gewohnheiten nun einmal einem kulturellen Wandel unterworfen sind.

Und, so kann man ergänzen, die moderne Frau entscheide schließlich sehr zu Recht und selbstbewusst ganz alleine, wie sie sich kleiden möchte, niemand schreibt ihr vor, ihren Fuß in unbequemes Schuhwerk zu zwängen. Wer den Absatzschuh als Werkzeug der Unterdrückung der Frau diffamiert, hat letztlich nichts anderes als eine Bevormundung dieser selbstbewussten Frauen im Sinn, bezweckt also unterm Strich möglicherweise das Gegenteil von dem, was er zu wollen vorgibt.

Schuhe und Kopftuch

Die zweite Argumentationsweise hat es in einer modernen Gesellschaft, in der die freie, autonome Entscheidung jeder Person über ihr Äußeres, ihre Kleidung, ihre Frisur, ihre Piercings und ihr Make-up ein hohes Gut ist, sicherlich leichter als die erste. Doch bevor man ihr vorschnell nachgibt, lohnt sich ein Blick auf ein anderes Kleidungsstück für Frauen, das seiner Wirkung nach zunächst das ganze Gegenteil des Absatzschuhs zu sein scheint: das Kopftuch.

Auch wenn diese Tücher oder Umhänge zunächst nicht die weiblichen Attribute betonen, sondern diese verbergen sollen, so werden sie doch und selbstverständlich zu Recht als Werkzeuge der Unterdrückung der Frau betrachtet. Und ebenso wie beim Absatzschuh gibt es die Argumentation, dass das Kopftuch oder gar der Schleier es den Frauen ermöglicht, in einer männlich dominierten Welt vergleichsweise unbehelligt und selbstbestimmt zu agieren. Schließlich wird auch hinsichtlich des Kopftuchs argumentiert, dass sich doch zunehmend viele Frauen ganz frei und selbstständig entscheiden, ein Kopftuch zu tragen, dass sie es sogar als modernes Schmuckelement einsetzen, das ihre Schönheit sogar zu betonen vermag.

Kleidung wirkt nicht ohne Handlung

So können also zwei ganz unterschiedliche Kleidungsstücke, die in Zweck und Wirkung weit auseinanderliegen, im Grunde die gleichen Effekte hervorbringen. Und - noch erstaunlicher - sie können sogar in der gleichen Gesellschaft, zur gleichen Zeit, entgegengesetzte Auswirkungen haben. Wie ist das möglich?

Eigentlich ist die Antwort sehr nahe liegend. Kaum ein Kleidungsstück, weder ein Kopftuch noch ein Absatzschuh, entfaltet eine Wirkung unabhängig vom Verhalten, vom Wollen und Beabsichtigen der Person, die es trägt. Ein Mensch nimmt eine Rolle überhaupt immer nur dadurch ein, dass er sie annimmt. Das Kopftuch wird zum Symbol der Unterwerfung der Frau durch den gesenkten Blick - eine Frau, deren hoch erhobener Kopf einen festen Ausdruck zeigt, kann sich, wenn sie mag, mit einem Kopftuch schmücken, ohne dass es eine Chance gäbe, dass es zum Werkzeug ihrer Unterdrückung wird.

Ebenso der Absatzschuh: Verbindet seine Trägerin ihn mit betont sexualisierten Gesten und Bewegungen, dann nimmt sie die Rolle als bloßes Objekt der Begierde an, wenn sie andererseits Distanz wahrend und sicher durch die Gruppe der Kollegen schreitet, wird kaum jemand es wagen, sie auf das Sexuelle zu reduzieren.

Das heißt natürlich nicht, dass jede Frau heute jederzeit gefahrlos und frei wählen könnte, welche Rolle sie annehmen möchte. Und allzu oft werden Frauen auch in pluralen und freien Gesellschaften in Rollen gezwungen, auch indem ihnen die entsprechenden Kleidungsstücke vorgeschrieben werden.

Aber Kleidung kann eben auch eine subversive Wirkung entfalten, sie verliert ihre Unterdrückungsfunktion nicht unbedingt dadurch, dass sich Menschen ihnen verweigern. Sondern eher dadurch, dass sie sie selbstbewusst in eine neue Funktion überführen, sodass sie ihre repressive Kraft verlieren.

Jörg Friedrich: Philosoph kann man erst werden, wenn sich die grauen Haare zeigen. Deshalb begann Friedrich sein Philosophie-Studium, als er die 40 schon überschritten hatte. Das Studium schloss er 2009 ab. Zuvor hatte er Meteorologie und Physik studiert und 1989 mit einer Diplomarbeit über die Simulation von Strukturbildung und Chaos in der Atmosphäre beendet. Heute beschäftigt er sich vor allem mit Fragen der praktischen und politischen Philosophie sowie der Technikphilosophie. Friedrich ist außerdem Geschäftsführer der Firma Indal.

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