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20 Jahre Bosnien-Krieg: Der Tag als aus Brüdern Feinde wurden


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11.541 leere Stühle für die Toten von Sarajevo

Von dpa, afp
Aktualisiert am 06.04.2012Lesedauer: 3 Min.
6. April 1992: Bosnische Kräfte erwidern das Feuer serbischer Scharfschützen in SarajevoVergrößern des Bildes6. April 1992: Bosnische Kräfte erwidern das Feuer serbischer Scharfschützen in Sarajevo (Quelle: AFP-bilder)
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11.541 Stühle sind in Sarajevo feierlich aufgestellt worden - Platz nehmen wird jedoch niemand auf ihnen. Bosnien-Herzegowina gedenkt des Kriegsbeginns vor 20 Jahren und der Todesopfer. Die freien Plätze stehen für die Menschen, die bei der 44-monatigen Belagerung der Stadt ums Leben kamen. Die Wunden, die der Bosnien-Krieg geschlagen hat, sind bis heute noch nicht verheilt.

Mit dem Zerfall des Ostblocks beginnt auch der blutige Zerfall Jugoslawiens:1991 erklären sich Slowenien und Kroatien für unabhängig. Anfang März 1992 stimmen auch die Bosnier in einem Referendum, das von der serbischen Minderheit boykottiert wird, mit überwältigender Mehrheit für die Loslösung von Rest-Jugoslawien, in dem alle Ethnien nach offizieller Lesart brüderlich zusammenlebten. Doch der Versuch, den bosnischen Serben die Unabhängigkeit aufdrücken zu wollen, sei "ein Fehler" gewesen, sagt der Bosnien-Experte Esad Hecimovic.

In den Wochen nach dem Referendum nehmen die Spannungen zwischen den Volksgruppen immer weiter zu, bis sie am 5. und 6. April eskalieren: Während in Sarajevo zehntausende Menschen für den Frieden demonstrieren, schießen serbische Heckenschützen in die Menschenmenge - Bosnien hat seine ersten Kriegstoten. "Ich dachte, wir könnten den Frieden bewahren", erinnert sich der Jura-Professor Zdravko Grebo, der bei der Demonstration dabei war. "Aber ich war sehr naiv, denn der Krieg war längst vorbereitet."

Am 6. April 1992 beginnt die Belagerung Sarajevos. Serben riegeln die Stadt für fast vier Jahre weitgehend von der Außenwelt ab und schießen mit schweren Mörsern und Panzern von den umliegenden Bergen aus in das Stadtgebiet. Die Verteidiger der Hauptstadt Bosnien-Herzegowinas - Muslime, Koraten und auch viele Serben - besitzen zunächst nur leichte Waffen und sind im Talkessel der serbischen Übermacht schutzlos ausgeliefert. Dennoch können sie die einstige Multikulti-Metropole vor der Einnahme durch Freischärler und jugoslawische Volksarmee bewahren.

Diplomatische Verhandlungen scheitern

Die Großmächte, die NATO und die UN schauen jahrelang fassungslos zu. Sie schicken Blauhelmsoldaten, die hilflos sind. Sie stellen Ultimaten, die verstreichen. Und sie bauen immer neue Drohkulissen auf, die am Ende folgenlos bleiben. Zwar wird ab Sommer 1992 eine internationale Luftbrücke organisiert, über die die Eingeschlossenen mit dem Allerwichtigsten versorgt werden. Sie dauert länger als die berühmte Vorgängerin, die Berliner Luftbrücke 1948/49.

Doch erst nach dem Beschuss des Marktplatzes von Markale im Februar 1994 mit 68 Toten - für den sich Serben und Muslime bis heute gegenseitig die Schuld geben - knackt die Nato mit Flugzeugen und Marschflugkörpern, die von US-Kriegsschiffen im Mittelmeer starteten, die serbischen Stellungen. Mitte Dezember 1995 wird in Paris der im amerikanischen Dayton ausgehandelte Friedensvertrag unterzeichnet und auch die Belagerung Sarajevos kurz danach beendet. Bosnien-Herzegowina wird in die halbautonome serbische Republika Srpska und die Muslimisch-Kroatische Föderation geteilt.

Während der Belagerung Sarajevos sterben über 11.000 Menschen, schätzungsweise 50.000 werden verletzt. Zehntausende Gebäude im Stadtgebiet werden ebenso zerstört wie die gesamte kommunale Infrastruktur. Diese Verwüstungen sind heute weitgehend behoben. Aber die einst bunt gemischte Bevölkerung aus Muslimen, Serben, Kroaten und Jugoslawen gibt es nicht mehr - die meisten Einwohner Sarajevos sind heute bosnisch-muslimisch, Angehörige anderer Völker haben der Stadt den Rücken gekehrt.

Erschütterndes Massaker in Srebrenica

Am 6. April 1992, mit dem auch die Belagerung Sarajevos beginnt, stürzt aber auch das gesamte Land in einen blutigen Krieg: Rund 100.000 Menschen werden getötet, mehr als 2,2 Millionen Menschen - die Hälfte der Bevölkerung - müssen fliehen. Im Juli 1995 kommt es in der UN-Schutzzone Srebrenica zu einem Massaker, das heute als das schwerste in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gilt. Bosnisch-serbische Milizen marschieren in die Stadt ein und entführen unter den Augen niederländischer Blauhelmsoldaten 8000 muslimische Männer und Jungen, die wenig später ermordet werden.

Die Hauptverantwortlichen für die Kriegsverbrechen wie der bosnisch-serbische Armeechef Ratko Mladic und Serbenführer Radovan Karadzic müssen sich zwar heute vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal für Ex-Jugoslawien in Den Haag verantworten. Trotzdem ist Bosnien bis heute tief gespalten, sagt der jugoslawische Ex-Präsident Dizdarevic: "Es gibt keinen Dialog zwischen den Gebietseinheiten."

Der politische Stillstand und die noch immer von ethnischen Konflikten geprägte Gesellschaft haben Bosnien auch zu einem der ärmsten Länder Europas gemacht: Die Arbeitslosigkeit liegt bei 40 Prozent, von den 3,8 Millionen Einwohnern lebt jeder vierte unter der Armutsgrenze. Für Dizdarevic ist Bosnien heute ein "Gefangener nationalistischer Kräfte und entwickelt sich zurück".

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